Haltern. Schon immer war Miriam Schwidereck am liebsten unter Wasser. Heute ist sie professionelle Meerjungfrau und unterrichtet die besondere Schwimmart.
„Für mich ist die Welt eine andere, wenn ich meine Flossen anziehe. Ich schlüpfe da rein und die ganze Welt ist wunderschön”, sagt Miriam Schwidereck. Sie ist eine echte Meerjungfrau. So echt, wie es das Leben zulässt. Das Wasser ist ihr Element. Von klein auf. Damals gibt es die Möglichkeit noch gar nicht, sich in eine Meerjungfrau zu verwandeln. In ihrem Herzen jedoch greift sie dem vor und fühlt sich erst im Wasser richtig frei.
„Träume nicht dein Leben, lebe deinen Traum.” So steht es auf der Heckscheibe des Autos geschrieben, mit dem Miriam Schwidereck in Haltern auf den Parkplatz des Freibades fährt. Hier unterrichtet sie den ganzen Tag über kleine angehende Meerjungfrauen. Sie alle teilen den Traum und die Leidenschaft der 40-Jährigen.
Arielle und H20
Denkt so manch einer nun an die kleine Meerjungfrau aus dem Märchen von Hans Christian Andersen, so haben die Kleinen ganz andere Bilder im Kopf. Weniger tragische. „Arielle ist für viele Mädchen der Einstieg. Da entsteht in ihnen dieser Traum. Und dann kommt die Jugendserie H2O und die Kinder sind Feuer und Flamme”, sagt die zweifache Mutter und lacht.
Sie selbst lernt einst schwimmen wie die meisten laufen. Schon die Mutter ist eine echte Wassernixe, nimmt sobald es möglich ist, die Tochter mit. Die entpuppt sich als Naturtalent, ist bald als Wettkampfschwimmerin aktiv. „Andere Sportarten konnte ich gar nicht. Ich weiß noch, bei meinem ersten Sportabzeichen habe ich im 100-Meter-Lauf ganz knapp gewonnen – gegen meine eigene Oma.” Allein im Schwimmen kann ihr keiner das Wasser reichen.
Zu ihrem Leben als Teilzeit-Meerjungfrau aber findet Miriam Schwidereck erst viel später. Da lebt sie bei Kiel, ist selbst schon Mutter und wünscht sich, wieder etwas für sich selbst zu tun. Sie meldet die Kinder im Schwimmverein an. „Da wurden meine Kinder gefragt, woher könnt ihr denn so gut schwimmen? Als sie erzählt haben, dass ich ihnen das beigebracht habe, wurde ich sofort als Trainerin verpflichtet.” So wird sie Trainerassistentin, Rettungsschwimmerin und Kampfrichterin. Bis sie 2016 durch eine Freundin vom Mermaiding hört, dem Schwimmen als Meerjungfrau, halb Mensch, halb Fisch.
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„Ich habe mir das sofort selbst beigebracht. Ich war schon gut im Delfin-Schwimmen, deswegen war das für mich nicht schwer.” Es ist der Moment, der das Leben von Miriam Schwidereck verändert. Von jetzt an hat sie ein Alter Ego, wird so oft es geht zur „Meermaid Kiri”. Ihre Flossen hat sie fortan immer dabei, ob im Urlaub auf Mallorca oder in der Türkei oder im Schwimmbad in der Heimat bei Paderborn. Dort sorgt sie regelmäßig für Aufsehen. „Es schauen schon alle zu mir, wenn ich unter ihnen her tauche. Dann gehen bei allen die Köpfe gen Beckenboden.” Kleine Irritationen inklusive. „Einmal hat eine Dame ganz erschrocken gerufen: Ein Hai!”
Bikini und Fischschwanz mit Flosse
Vor drei Jahren will Miriam Schwidereck es wissen, will sich fortbilden als Meerjungfrau. Dafür besucht sie einen Workshop von Katrin Gray, eine der anerkanntesten und gefragtesten professionellen Meerjungfrauen weltweit. Sie trainiert die heute 40-Jährige im Apnoe-Tauchen, also Tauchen ohne Pressluftflasche, nur mit angehaltenem Atem. „Da bin ich über mich hinausgewachsen. Ich habe anderthalb Minuten die Luft angehalten und bin 47 Meter in die Länge getaucht. Es hat so einen Spaß gemacht”, sagt Meerjungfrau „Kiri” und lacht. Dabei wehen ihre schönen, langen blonden Haare im Wind. Sie wirken perfekt zu dem Kostüm. Mittlerweile hat Miriam Schwidereck davon mehrere, kann je nach Gefühl den passenden Dress wählen. Der besteht aus einem Bikini und dem Fischschwanz mit Flosse. Demnächst, erzählt sie, will sie sich den nächsten Traum erfüllen: ein maßgeschneiderter Fischschwanz, der die Verwandlung zur Meerjungfrau perfektionieren soll.
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Die Flosse allein wiegt mindestens 1,2 Kilo. Nicht nur deswegen ist das Mermaiding echter Leistungssport. Die ganze Körperhaltung muss angepasst werden. Die Bewegungen unter Wasser erst recht. Meerjungfrauen haben eben keine Beine. Unter Wasser erfordert das besonders fließende Bewegungen, die in Perfektion geradezu poetisch wirken. Meerjungfrauen etwa halten immer ihre Hände grazil, erklärt die Fachfrau und zeigt, wie die Haltung bis in die Fingerspitzen stimmen muss. An Land lässt die Flosse nahezu keine Fortbewegung zu. Meerjungfrauen sind auf dem Trockenen hilflos. „Bei Shootings müssen sie oft an den Ort getragen werden. Selbst laufen, das geht nicht mehr.”
Im Schwarm der Meerjungfrauen
Die Bilder aber belohnen das. Die Aufnahmen an Land sind ein bisschen exotisch, außergewöhnlich, jedoch enorm ästhetisch. Die Unterwasser-Aufnahmen im Meer aber sind von berührender Schönheit, sprechen Betrachter ganz tief in der Seele an. So wie das Werbevideo mit Katrin Gray. „Dazu hat sie ihre Trainerinnen mitgenommen.” Auch Miriam Schwidereck. Sie ist am Ende des Clips im Schwarm hinter Katrin Gray zu sehen. „Das war ein unglaubliches Erlebnis. Wir haben das in einem Tauchkanal gedreht. Da bin ich tiefer getaucht als ich je konnte. Ein Wahnsinnserlebnis.” Mit Folgen. „Eines Tages bin ich im Supermarkt einkaufen und da habe ich mich auf einem Bildschirm gesehen. Ich war so überrascht, ich habe laut ausgerufen: Das bin ich!” Wenig später melden sich auch Freunde und Bekannte. „Der Clip ist wohl auch im Kino gezeigt worden. Ich selbst habe mich aber nur im Supermarkt gesehen.” Und natürlich im Internet. Dort kann der Clip noch immer angeschaut werden.
„Wenn ich könnte, würde ich unter Wasser leben.“
Miriam Schwidereck ist eine der festen Trainerinnen von Katrin Gray, deren Meerjungfrauenschule in ganz Deutschland Kurse anbietet. Das Interesse ist groß. „Bislang hat sie mit ihren Trainerinnen rund 8.000 Meerjungfrauen ausgebildet.” Tendenz steigend. Demnächst also könnte das Land eine recht gute Quote solcher fabelhaften und mystischen Wesen aufweisen. Sofern die dann am Ball bleiben, hart trainieren, damit der Hochleistungssport auch bei ihnen derart leicht aussieht.
Muskeln, Ausdauer, eine innere Haltung und eine große Leidenschaft, das braucht es. Und das hat Miriam Schwidereck. „Für die einen ist es das Fliegen, wovon sie träumen. Für mich ist es das Fliegen unter Wasser.” Das ist eine immerwährende Sehnsucht in ihr. „Wenn ich könnte, würde ich unter Wasser leben. Dann hätte ich ein Schloss auf dem Meeresgrund.” Allein auf ein Bett würde sie nicht verzichten wollen. Aber Laufen auf zwei Beinen? Das brauche man doch nicht, meint die Nixe. „Das Meer ist so atemberaubend. Wir können es einfach nicht beherrschen.” Und wenn sie schon im Leben nicht unter Wasser bleiben kann, so soll es doch danach geschehen. „Ich möchte mal ins Meer – ganz am Ende. Ich weiß auch wohin: in die Lübecker Bucht.”
>>> In der Meerjungfrauenschule
Katrin Gray bietet mit ihrer Meerjungfrauenschule deutschlandweit Kurse an für Mädchen, aber auch für Jungen – für kleine Meermänner. Erwachsene können ebenfalls in die Flossen schlüpfen. In der Region gibt es Angebote in Werne und Haltern am See. Hier ist Miriam Schwidereck als Trainerin aktiv.
Kinder können bereits das Schwimmen mit der Flosse erlernen. Grundvoraussetzung ist jedoch das Bronzeabzeichen.
Die Meerjungfrauen sehen sich selbst als Botschafterinnen der Meere. Daher gehört zum Unterricht auch die ökologische Bildung fest dazu. Das Ziel: Die Nixen sollen das Meer nicht nur lieben, sie sollen es auch bewahren helfen in seiner Schönheit. Im besten Fall werden sie selbst zu Botschafterinnen für den Meeresschutz.
Termine und weitere Informationen gibt es im Netz unter www.meerjungfrauen-schule.de