Bochum.. Wenn wir ständig auf die tollen Erlebnisse unserer Online-Freunde starren, kann das Selbstwertgefühl leiden, so eine Studie aus Bochum.


Wie oft waren Sie in diesem Jahr schon im Urlaub in Thailand? Auf Bali? Den Malediven? Auf Gran Canaria? In Norwegen, Irland oder Island? Wenn Sie sich jetzt überfordert fühlen, ist das kaum verwunderlich. Und wenn’s nur zur Wattwurmwanderung vor Wangerooge gereicht hat, ist das noch lange kein Grund zum Traurigsein.

Im echten Leben empfinden wir eine solche Häufung von Urlaubszielen als absurd. Aber beim Blick auf Facebook oder Instagram findet man halt täglich echte Menschen, die Urlaube an exotischen oder atemberaubend schönen Orten machen. Und damit nicht genug. Sie inszenieren die Jahrestage ihrer Beziehung als Party mit den heißesten Liebesschwüren (Wie viele Partner haben die eigentlich?). Oder feiern dick die Freundschaft mit ihren besten Freunden fürs Leben ab (Und wie viele davon kann man haben?).

„Alle meine Online-Freunde sind besser als ich“

Psychologe Phillip Ozimek von der Ruhr-Universität Bochum.
Psychologe Phillip Ozimek von der Ruhr-Universität Bochum. © Unbekannt | Ozimek






Wenn Facebook die Realität wäre, dann wäre das Leben eine einzige Abfolge von wunderbaren Ereignissen. Der soziale Druck ist enorm. Im Kontrast dazu sieht das eigene Leben oft trist oder im besten Falle langweilig und normal aus.

Das ständige Vergleichen mit anderen in den sozialen Medien kann sogar gefährlich sein, zumindest, wenn man dort vor allem als passiver Beobachter unterwegs ist. Zu diesem Schluss kommt eine neue Studie der Ruhruniversität Bochum. Sie stellt fest, dass das Selbstwertgefühl durch passiven Konsum von sozialen Medien leiden kann. Sinnfälliger Titel des Papiers: „All my online-friends are better than me“, auf gut Deutsch: „Alle meine Online-Freunde sind besser als ich“.

Soziale Medien können ein i-Tüpfelchen darstellen

Psychologe Philipp Ozimek und sein Team untersuchten drei Gruppen mit insgesamt mehr als 800 Teilnehmern. Eine von ihnen schaute sich fünf Minuten lang die eigene Facebook-Pinnwand an, eine die Mitarbeiterliste der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhruni. Beide schrieben Informationen über die zuvor Beobachteten heraus. Eine dritte Gruppe ließ diese Schritte aus. Alle füllten am Ende einen Fragebogen zu ihrem aktuellenSelbstwertgefühl aus.

Des Ergebnis war recht eindeutig: Der soziale Vergleich führt zum geringeren Selbstwertgefühl. Was wiederum depressive Tendenzen fördern kann – ganz gleich, ob es nun die Facebook-Beobachter oder die Mitarbeiter-Betrachter waren.





Aber Ozimek warnt vor voreiligen Schlüssen: „Ich würde niemals sagen: Soziale Medien machen depressiv. Da kommen viele andere Faktoren hinzu, es sind genetische, biologische und andere soziale Komponenten beteiligt. Soziale Medien können hier aber ein i-Tüpfelchen darstellen. Wenn es mir sowieso schon nicht so gut geht, ich mich immer mehr einkapsele, dabei viele soziale Medien konsumiere und mich vergleiche, kann mich das zusätzlich runterziehen. Folge: das Selbstwertgefühl sinkt. Das heißt: Wir haben verstärkt den Eindruck, dass wir nicht gut genug sind.“

Eigentlich wissen wir ja, dass die meisten Menschen in den sozialen Medien eine möglichst positive Version ihrer selbst zeigen. Die Steigerung: „Influencer und die richtigen Instagramer sind noch einmal eine Spur drüber.“

Wie ein Klassentreffen - aber jeden Tag





Reicht nicht schon das Wissen über eine derart verzerrte Realität, um gewappnet zu sein? Der Psychologie-Professor verneint: „Mir passiert es ja auch. Unseren Jahresurlaub hatten wir im März. Danach hatte ich eine längere Zeit, in der ich kaum aus dem Büro gekommen bin. Und ich habe mich dabei erwischt, wie ich bei Instagram durchgescrollt habe und dachte: Es ist Sommer, alle machen Urlaub und du selber kommst gar nicht weg.“ Was natürlich nicht stimmte.

Die Auswirkungen des sozialen Vergleichs seien ungefähr wie bei einem Klassentreffen zehn Jahre nach dem Abitur. „Da wird jeder erstmal erzählen, was er Tolles erreicht hat. Was früher das Klassentreffen war, sind heute die sozialen Medien. Mit dem großen Unterschied, dass das Klassentreffen hier nicht alle zehn Jahre stattfindet – sondern jeden Tag.“

Bei Twitter an- und bei allen anderen abmelden

“Alle sind glücklicher als ich.“: Der Blick in soziale Netzwerke kann hart sein.
“Alle sind glücklicher als ich.“: Der Blick in soziale Netzwerke kann hart sein. © Unbekannt | Getty Images/iStockphoto






Was schützt gegen solchen sozialen Druck? „Wenn man sich zum Beispiel einen Studenten vorstellt, der nebenbei im Supermarkt an der Kasse arbeitet, der sieht dort sehr viele Menschen an sich vorbeiziehen. Manche sind sehr gut drauf, aber er wird am Tag auch Menschen begegnen, denen es nur durchschnittlich geht, die einfach ganz normal sind“, sagt Ozimek.

Auffällig: Der Druck entsteht vor allem über Plattformen wie Facebook und Instagram, wo es um die Darstellung von Fähigkeiten geht. Wer dem entgehen möchte und trotzdem online vorn mitspielen will, könnte immer noch wechseln: „Melden Sie sich bei Twitter an und bei allen anderen ab. Bei Twitter sieht man keine Fotos, dort geht es nur um Meinungen. Allerdings gehen dort die Nutzerzahlen zurück, weil die Menschen eher das Bedürfnis haben, andere zu stalken und viele persönliche Informationen zu bekommen“, so Ozimek.

Im Job-Netzwerk darf man nicht lügen

Eine nicht ganz so einseitig positive Selbstdarstellung fanden die Bochumer Forscher in professionellen Netzwerken wie „Xing“ – obwohl man denken sollte, dass gerade hier der gute Eindruck zählt. Ozimek: „Wenn Sie einen Job möchten, präsentieren Sie sich ja von ihrer positiven Seite. Aber sie dürfen halt nicht lügen. Denn sie möchten ein langfristiges Vertrauensverhältnis zum potenziellen Arbeitgeber entwickeln. Dementsprechend stellen sich die Leute dort eher realistisch dar.“

Und wie steht es mit Partnersuch-Plattformen wie Tinder, auf denen viele schon mit ihrem Profil-Bild unrealistisch beschönigen? „Es kommt ja immer darauf an, welches Ziel die Menschen in einem Netzwerk verfolgen. Bei Tinder geht es – ehrlich gesagt – eher um sexuellen Kontakt und weniger um ernste Partnerschaften. Für One-Night-Stands oder Affären ist es wohl nicht so relevant, wie authentisch man letztlich ist.“