Essen. Das Buch „Eine kleine Geschichte vom Scheitern“ widmet all jenen eine liebevolle Würdigung, die immer wieder auf der Verliererseite standen.
Verlieren gilt ja in den seltensten Fällen als etwas Erstrebenswertes. Es sei denn, man landet gerade in einer obskuren Trashfernseh-Show, bei der es ums Gewichtverlieren geht. Dort ist dann die Wertigkeit doch arg verkehrt: Wer verliert, gewinnt. Und erstaunlich: Manche sind darin so eklatant erfolglos, dass es nicht einmal bei „The Biggest Loser“ für den ersten Platz reicht.
Dabei ist der Verlierer in den allermeisten Fällen ein Sympathieträger. Der Kölner Autor und Journalist Bernd Imgrund hat nun mit „Eine kleine Geschichte des Scheiterns“ all jenen ein Denkmal gesetzt, denen das Schicksal Tiefschläge am laufenden Band verpasst, die sich abstrampeln und doch nie ans Ziel gelangen. Die erst kein Glück hatten – und dann kam auch noch Pech dazu, wie der Essener Kicker Jürgen „Kobra“ Wegmann einst feststellte.
Man muss ja nicht gleich an der Hybris von General Custer (1839-1876) leiden, dem der Satz zugeschrieben wird „Es gibt nicht genug Indianer auf der Welt, um die 7. Kavallerie zu schlagen.“ Natürlich sagte er es noch vor seiner tödlichen Niederlage am Little Big Horn.
Nehmen wir Imgrunds Buch zum Anlass, um an ein paar Typen von berühmt gewordenen Scheiternden und Verlierern vorbei zu bummeln.
Die erfolgreichen Verlierer
Welch ein Schicksal: Vom unfassbar reichen Onkel auf lebensgefährliche Missionen gehetzt, selbst ein armer Schlucker, der drei kleine Neffen mit durchfüttern muss, gesegnet mit zwei linken Händen, die es unmöglich machen, einen Nagel ohne Aua in die Wand zu kloppen. Es ist nicht leicht, Donald Duck zu sein. Und dann kommt auch noch ein Schnösel wie Vetter Gustav Gans daher, dem das Glück nur so in den Schoß fällt… Die Ironie: Durch ständiges Scheitern ist Donald für den Disney-Konzern zum erfolgreichsten aller Verlierer geworden. Er verdiente Milliarden – und sah nicht einen müden Taler.
Den Typ des sympathischen Verlierers mag jeder gerne, weil wohl in uns allen ein bisschen von ihm steckt. Oder weil wir uns daran aufrichten, dass es schlimmere Schicksale gibt. Nehmen wir Charlie Brown, dessen Baseball-Team jedes Spiel verliert; dem die fiese Lucy beim Kicker-Training den Football wegzieht; dessen Drachen stets vom Baum gefressen wird. Zum Knuddeln tragisch, dieser Charlie.
Aber sowas gibt‘s nur im Comic? Nein, auch in der Komik. Charlie Chaplin, Buster Keaton und… sagen wir mal: Bastian Pastewka. Sie alle haben das Scheitern zur Kunstform erhoben, es ist die Quelle ihrer Komik, das Geheimnis ihres Erfolgs. Außer bei Pastewka natürlich, der soll wirklich ein Loser sein – sagt zumindest Michael Kessler.
Die am Leben Gescheiterten
Manches Scheitern birgt absolut nichts Komisches in sich. Und oft ist es gar die Angst vor dem Versagen – oder die Furcht, nicht mit dem Leben zurechtzukommen – die zum Ende führt. Der tragische „Club 27“ rekrutiert sich aus solchen, überaus talentierten und erfolgreichen Musikern, die allesamt am Leben scheiterten und (teils wegen Drogen) im Alter von 27 starben: Brian Jones, Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison, Kurt Cobain, Amy Winehouse. Das sind nur die bekanntesten…
Die ewigen Zweiten
Was haben Michael Jordan, der beste Basketballspieler aller Zeiten, und Schriftsteller Samuel Beckett gemein? Die Einstellung zum Scheitern: „Immer versucht, immer gescheitert, egal, versuch’ es wieder, scheitere erneut, scheitere besser.“ Das Beckett-Zitat gab Jordan recht wörtlich an, als er nach dem Grund für seinen Erfolg gefragt wurde.
Im Sport gibt es viele, die stets knapp vorm Ziel krepieren, das weiß jeder Fußballfan, der Vizekusen immer wieder auf Platz 2 sah...
Bernd Imgrund fällt dabei gleich der Duisburger Spitzenathlet Jürgen Hingsen ein, der in den 80er-Jahren Weltrekorde im Zehnkampf aufstellte, aber immer hinter dem britischen Konkurrenten Daley Thompson landete. 1998 bei Olympia in Seoul wollte der Silberjunge es wissen. Und er war so ehrgeizig, dass er beim 100-Meter-Lauf gleich drei Fehlstarts hinlegte. Er wurde disqualifiziert – nicht lange danach endete seine Karriere…
Geschichten wie diese gibt’s zuhauf: Sprinterin Merlene Ottey trug in den 80ern und 90ern den Namen „Bronze Queen“. Bis sie dann 1996 in Atlanta Erfolg hatte, wenn auch nur auf Platz zwei.
Wenn Wissenschaft Leiden schafft
In der Welt der Wissenschaft wimmelt es von den Geschmähten, den Übersehenen und denen, die ihrer Zeit weit voraus waren. Gerade weibliche Genies hatten gute Chancen, übergangen zu werden. Paradebeispiel: Lise Meitner. Sie entwickelt mit Otto Hahn und Otto Frisch 1938 die Kernspaltung – ein Meilenstein der Wissenschaft. Und wer bekam dafür den Nobelpreis? Hahn. Meitner wurde ignoriert, obwohl sie Otto Hahn den Weg ebnete. Dabei war sie sogar 48-mal (!) für den Nobelpreis nominiert!
Auch die Entdeckung der Doppelhelix-Struktur, die zur Entschlüsselung der menschlichen DNA führte, verdanken wir einer Frau: Rosalind Franklin hatte Daten und Erkenntnisse gesammelt, die ihre Kollegen James D. Watson, Francis Crick und Maurice Wilkins schlicht noch vor der Veröffentlichung abkupferten. Die Folge: Nobelpreis fürs diebische Trio!
Die tief Gefallenen
„Erfahrung ist der Name, den jeder seinen Fehlern gibt.“ Was gibt es nicht alles an klugen Einsichten und Bonmots im Werk von Oscar Wilde (1854-1900), dessen Leben selbst als Tragödie durchgeht. Er gehörte zu den beliebtesten und zugleich verhassten Schriftstellern des viktorianischen Englands – und er genoss es. Bis dem verheirateten Vater zweier Söhne seine Sexualität zum Verhängnis wurde: Durch sein Verhältnis zu Bosie, besser bekannt als Lord Alfred Douglas, und die damalige Verfolgung homosexueller Menschen landete er für zwei Jahre im Zuchthaus bei Zwangsarbeit, was Gesundheit, Karriere und Lebenslust ruinierte. Er starb im Exil in Paris an den Folgen einer Hirnhautentzündung, die auf ein Leiden aus dem Zuchthaus zurückging. Bei allem, was Wilde verloren hat: Seine Kunst bleibt unsterblich.