Elf als "entartet geschmähte Skulpturen sind in Berlin wieder aufgetaucht.

Ein Bauarbeiter ist über den Fund gestolpert, der Historiker, Archäologen und den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit (SPD), derzeit in Aufregung versetzt. "Ein kleines Wunder", nannte Wowereit das Bildnis der Schauspielerin Anni Mewes, geschaffen von Edwin Scharff, und zehn weitere Werke am Montag, als er den Fund der Öffentlichkeit vorstellte. Sie tauchten direkt vor seinem Amtsgebäude, dem Roten Rathaus, aus dem Erdreich auf. Es sind Werke, die von den Nationalsozialisten als "Entartete Kunst" diffamiert worden waren und als verschollen galten.

An ihrer Fundstelle wird die neue U-Bahnlinie 5 gebaut, die am Roten Rathaus vorbei zum Alexanderplatz führen soll. Dort, wo heute eine große Freifläche ist, befand sich früher das Stadtzentrum: Geschäftsstraßen, enge Gassen, Häuser mit Büros und Läden. Die Rathausstraße hieß bis Anfang der 50er Jahre Königsstraße. An der Stelle, an der sich früher das Haus Nummer 50 befand, entdeckte ein Arbeiter im Januar den mit Mörtel bedeckten Bronzekopf von Edwin Scharff. Ende August dann die große Überraschung: Zehn Meter weiter tauchten immer mehr Skulpturen auf. Geschaffen hatten sie Künstler wie Otto Braun, Naum Slutzky und Emy Roeder. Zwei Werke konnten noch nicht zugeordnet werden.

Wie kamen die Skulpturen in dieses Haus?

"Das Haus ist im Spätsommer 1944 abgebrannt", berichtete der Landesarchäologe Matthias Wemhoff. Der durch einen Bombenangriff ausgelöste Brand fraß sich von oben nach unten durch das Haus und zerstörte alles, was nicht feuerfest war. Übrig blieben nur "hohle Zähne", sagte Wemhoff und hielt ein Foto vom abgebrannten Berliner Zentrum in die Höhe. Die Skulpturen stammten nach den Untersuchungen der Archäologen aller Wahrscheinlichkeit nach aus einer Wohnung der vier Stockwerke.

Wie sie dort hinkamen, ist eine der Kernfragen, die gestellt werden. Wemhoff untersuchte die Mieterschaft des Hauses und entdeckte unter ihnen den Treuhänder und Steuerberater Erhard Oewerdieck. Der 1977 im Alter von 84 Jahren verstorbene Mann hatte gemeinsam mit seiner Frau Charlotte während des Nazi-Regimes Juden geholfen. So versteckte er seinen Mitarbeiter Martin Lange in seiner Wohnung und wurde von der Gedenkstätte Yad Vashem für sein Engagement geehrt.

Hatte er möglicherweise diese Kunstwerke in seinem Besitz? Zumindest liefern die anderen Mieter laut Wemhoff keine Anhaltspunkte dafür, dass sie etwas mit den Kunstgegenständen zu tun haben könnten. Bei ihnen handelte es sich um Handwerksbetriebe zum Beispiel für Miederwaren.

Wie Oewerdieck an die Kunst gekommen sein könnte, ist rätselhaft. Rund 16.000 Werke wurden von den Nationalsozialisten als "entartet" eingestuft. Laut der Direktorin des Georg-Kolbe-Museums Berlin, Ursel Berger, erfolgte diese Klassifizierung "willkürlich". Berger hatte sofort das Abbild der Schauspielerin Mewes in dem gefundenen Kopf vermutet und damit die Aufmerksamkeit der Archäologen in die richtige Richtung gelenkt. "Drei der nun gefundenen Kunstwerke waren auf der NS-Ausstellung ,Entartete Kunst" 1937 in München zu sehen", berichtete sie.

Nachdem die Kunstwerke in einer Wanderausstellung in ganz Deutschland gezeigt worden waren, sollten sie zur Devisenbeschaffung verkauft werden. Diejenigen, die keinen Käufer fanden, wanderten im November 1941 ins Propagandaministerium, sagte Wemhoff. Es wird vermutet, dass nicht wenige zerstört wurden. Möglicherweise hatte Oewerdieck versucht, dies zu verhindern, als er die Werke an sich nahm. Möglicherweise waren auch Gemälde und Zeichnungen in seinen Händen, als das Haus verbrannte.

Viele Fragen für die Forscher, die demnächst ein Symposium organisieren wollen, um sich dem Thema "Entartete Kunst" neu zu widmen. Zunächst werden die Skulpturen seit Montag im Neuen Museum der Öffentlichkeit präsentiert. Und der Regierende Bürgermeister hoffte auf mehr Wunder und rief den Bauarbeitern euphorisch zu: "Graben Sie weiter!" (afp)