Bochum..
„Wir erzählen ihre Geschichte“: In der Bochumer Jahrhunderthalle überlegen Kulturschaffende, wie sie Einwanderer ins Publikum locken können.
Rusen Tayfur
Bochum. Multikulti ist tot. Es lebe die Interkultur. Theater, Museen und Konzerthäuser im Lande haben offensichtlich den demografischen Wandel entdeckt – und sich ordentlich erschrocken. Schon heute haben bundesweit 20 Prozent der Bevölkerung einen Migratioshintergrund, in NRW ist es ein Viertel, Tendenz steigend. Nun nehmen alle an Projekten teil, schaffen Kooperationen, sitzen an Runden Tischen und schicken Gesandte zu Veranstaltungen wie jener, die seit Mittwoch in der Jahrhunderthalle stattfindet. Dort müht sich der „3. Bundesfachkongress Interkultur“ darum, zu ergründen, wie ein Stadttheater oder Kulturzentrum der Zukunft aussehen muss, damit es alle Bürger erreicht - die mit und die ohne Zuwanderungsgeschichte. 400 Politiker,Wissnschaftler, Journalisten, Künstler und Mitarbeiter von Kultureinrichtungen wägen Angebote und Nutzungszahlen ab, vergleichen Modelle und Strategien und werfen vor allem neugierie Blicke auf ethnische Gruppen, die spätestens seit der aktuellen Integrationsdebatte in jähem Scheinwerferlicht stehen.
Die Kommunen suchen nach Lösungen, nicht aus Nächstenliebe, sondern schierem Überlebenswillen. Die Ränge und Reihen müssen gefüllt werden, sonst steht ganz schnell die eine oder andere Förderung auf der Kippe. Also: Neues Publikum muss her. Menschen, die bisher zumindest bei bestimmten Kulturereignissen kaum in Erscheinung traten.
Vielfalt ist ein Schlagwort, Öffnung ein anderes. „Offen für Vielfalt“ lautet folglich das Motto des Bochumer Interkultur-Kongresses, der vom Bundesweiten Ratschlag Kulturelle Vielfalt initiiert wurde, vom Düsseldorfer Institut für soziale Dialoge in Kooperation mit dem Forum der Kulturen Stuttgart und der Essener Exile-Kulturkoordination veranstaltet wird, von der Landesregierung gefördert - und von der Kulturhauptstadt im Rahmen des „Melez“-Festivals ins Programm aufgenommen wurde.
Ehrensache also, dass Asli Sevindim, Künstlerische Direktorin der Ruhr 2010, die Veranstaltung eröffnet. Beim Gespräch am Rande der Veranstaltung spricht sie Klartext: „Die meisten Einwanderer kommen aus den sozialen Milieus, die nicht ins klassische Konzert und nicht ins Theater gehen.“ Dennoch müssten sich auch Kunst- und Kultureinrichtungen der gesellschaftlichen Realität öffnen, fordert Sevindim, „nicht sozialarbeiterisch, sondern mit ernstgemeinter künstlerischer Arbeit auf hohem Niveau“. Damit sei nicht gemeint, dass bestehende Programme auf Türkisch beworben werden. „Die meisten Einwanderer sprechen Deutsch“, sagt Sevindim. Vielmehr gehe es darum, dass sich die Repertoires ändern, so dass sie auch andere Menschen erreichen. „Das ist keine Luxusaufgabe“, sagt Sevindim, „sondern muss selbstverständlich sein für jede Kultureinrichtung, die auf Publikum angewiesen ist“.
Eines der hochgelobten Projekte in diesem Bereich ist „Next Generation“ am Schauspiel Bochum: In zehn Problemstadtteilen des Reviers erarbeiteten Jugendliche mit künstlerischen Mitteln wie Theater, Tanz und Musik ihre persönliche Vision der Stadt der Zukunft. Das Stück feierte gestern Uraufführung. „Ein Theater muss sich unbedingt mit der Stadt auseinandersetzen“, sagt Bochums Chefdramaturg Thomas Laue.
Es gehe jedoch nicht darum, zu sagen: Wir machen jetzt Theater für Menschen mit Migrationshintergrund. „Wir machen Theater für die Stadt“, sagt Laue, „das hat etwas mit Beteiligung zu tun.“ In Bochum habe man den festen Willen, auch jene mit ins Boot zu holen, die sich bisher nicht wiedergefunden haben. Laue: „Wir werden sie beteiligen, indem sie selbst auf der Bühne stehen, indem sie also Akteure sind, und indem wir ihre Geschichten erzählen.“ Die „interkulturelle Öffnung“, wie dieses Vorhaben hochtrabend genannt wird, sei keine lästige Aufgabe für ihn, sondern Selbstverständlichkeit. „Noch kann es sich das Theater leisten, sich geschlossen zu halten“, sagt Laue. „Aber welche Relevanz hat es dann noch? Ich finde: Keine!“