Dortmund. .

Das internationale Begegnungsfestival Melez ist in diesem Monat in einer S-Bahn unterwegs. Zwischen Gelsenkirchen und Essen – aber auch zwischen Sub- und Hochkultur und Menschen unterschiedlicher Herkunft.

Auf Bahnsteig 31 des Dortmunder Hauptbahnhofs machen Menschen Annäherungsversuche, die einander noch nie sahen, aber in zweieinhalb Stunden gemeinsam auftreten sollen – womit auch immer. „Bist du Profi-Musiker?“, fragt der Schlagzeuger tastend den Saxophonisten; „Ist eine Art Texter da?“, fragt eine Art Produzent in die Runde. Man sieht es schon, man weiß nicht viel, nur eines ist gewiss: Es fährt ein Zug nach Irgendwo.

„Melez – Der Liebesexpress“

Das ist „Melez – Der Liebesexpress“, eine umgerüstete S-Bahn, darin vielleicht 25 bis 30 Aktive, die mal jemand gegenseitig vorstellen sollte, sowie zahlende Gäste. Und die Aufgabe für diesen Abend ist: Sie sollen im fahrenden Zug eine Schnulze schreiben, sie aufnehmen, das Video dazu produzieren und das Lied abschließend ohne größeren Gesichtsverlust, aber wenigstens im Schutz der Dunkelheit zur Aufführung bringen. Die Grundlage, das steht schnell fest, wird Stevie Wonders „I just called to say I love you“ sein. Und die handgeschnitzte Zeile „Ich seh’ Dir in die Augen, der Bahnsteig färbt sich rosa“ darf an dieser Stelle als interessanter erster Entwurf durchgehen.

So. „Melez“ ist schon seit Jahren in Bochum ein Begegnungsfest der Kulturen, und in diesem Jahr der Kulturhauptstadt ist Melez halt ein Zug geworden von ratternder Symbolik. 13 Mal im Monat Oktober wird er zwischen Dortmund und Oberhausen unterwegs ist, zwischen Gelsenkirchen und Essen – aber erkennbar auch „zwischen Sub- und Hochkultur, zwischen künstlerischen Genres und Menschen unterschiedlicher Herkunft“, so Asli Sevindim, eine der Künstlerischen Direktoren der Ruhr2010. Vermutlich sehr unterschiedliche Menschen hinterlassen etwa im weißen Wagen des Liebesexpress, der zum kreativen Vollschreiben freigegeben ist, Eintragungen von „Herzblut, Herzsprung“ bis zu „Mesut Özil, unser Held!“

Kein Melez-Tag ist wie der andere

Inzwischen ist der Liebesexpress eine Stunde unterwegs. Zwischenstopp in Oberhausen. „Man muss sich dran gewöhnen“, sagt der Begleiter von der Bahn. An die grellen Partylichter, an die Schlagerbeschallung, aber auch an das kreative Durcheinander, wenn alle aus dem Bühnenwagen in den Videowagen drängen, vorbei an hektisch schreibenden Kreativen („Ich sitze im Zug und schau’ aus dem Fenster“) und einer Luisa Maria mit Verkaufskarre, die in dem aussichtslosen Lärm ebenfalls Handgeschriebenes hochhält: „Mettwüstchen mit Brot“ – lieber Himmel, das soll doch wohl kein Text sein?

Beim nächsten Mal kann alles anders sein. Kein Melez-Tag ist wie der andere, nur der Liebesexpress wird wiederholt. Vielleicht begegnen Sie dem Zug ja nächsten Samstag, oder Sonntag in 14 Tagen, irgendwo auf Ruhrgebietsgleisen. Eine geheimnisvolle S-Bahn in Tarnfarben ist das, jeder Wagen anders gestaltet, und bei den Zwischenstopps in Bahnhöfen hört man seltsame Geräusche aus dem Innern. Aber was sie dann drin gerade machen, das weiß man nicht. Im Programm stehen polnische Kurzfilme und deutsche Schlager, Balkan-Pop, der Stand der deutsch-russischen Beziehungen, Besichtigungsfahrten („Beautiful moments but schnell vorbei)“, Abschiebeproblematik, Krimi-Lesung, Türkisches. Oder: Emigrantski Raggamuffin. Es fährt ein Zug nach Irgendwo.

Unter dem Zeitdruck und der Wirkung von multikulturellem Bier hat der kreative Prozess dann doch noch Fahrt aufgenommen. Zurück in Dortmund, 20.30 Uhr. Der Bühnenwagen singt den Bahnhof an: „Ich schau hinaus / die Sonne scheint / ich frag mich, warum bin ich so allein / Ich ruf dich an / du gehst nicht dran / von Dortmund bis nach Essen kein Empfang.“ Das Lied heißt „Ich warte“ und passt insofern gut zu einem Gleis 31. Und im weißen Wagen hat jemand einen Klassiker der Graffiti-Literatur hinterlassen: „Wir waren hier.“