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Wenn man drüber nachdenkt, sind George Gershwin und Brian Wilson durchaus Brüder im Geiste. Beide schrieben mit am großen amerikanischen Songbook. Beide sind Seelenverwandte in der ihnen eigenen Melancholie.
Der Nachgeborene ehemalige „Beach Boy“-Vordenker Wilson surft nun in Gershwins jazzige Song-Gefilde hinein und hat sich dessen schönste Kompositionen vorgenommen, um sie mit seinem berühmten „Beach Boys“-Sound zu vermählen. Das hat durchaus Sinn in der Wilsonschen Logik. Denn Gershwin, so der Meister, habe letztlich neben dem Kollegen Irving Berlin in den 30er-Jahren den Popsong erfunden. Und das war natürlich für den späteren Beach Boy auch eine wichtige Inspirationsquelle.
„Reimagine Gershwin“ (Walt Disney Records) heißt folglich das von Star-Techniker Al Schmitt aufgenommene Album, das man ob seiner ganz eigenen Klangwelt ein Hör-Erlebnis nennen darf.
Miteinander
verwoben
Die teils miteinander verwobenen Songs werden a cappella eingerahmt vom „Rhapsody In Blue“-Leitthema. Teils hat sich Wilson danach zu konventionell im Midtempo swingenden Krooner-Arrangements entschlossen; dann klingt die exquisite Band, die ihn ja bereits geraume Zeit begleitet, fast nach „Manhattan Transfer“. „Summertime“ beispielsweise gehört dazu oder auch „It Ain’t Necessarily So“. Da schimmern schon die „Beach-Boys“-Chöre durch.
Ab der Albummitte wird es dann jedoch richtig nett. Und das liegt an „They Can’t Take That Away From Me“. Dieser Gershwin-Gassenhauer ist von so beseelter Fröhlichkeit, dass er glatt als Zwilling der „California Girls“ durchgeht. Man kriegt einfach sofort gute Laune, wippt mit, summt mit. Das Leben ist schön.
Und es geht weiter in dieser Liga. „I’ve Got a Crush On You“ beispielsweise hat ein heimeliges 50er-Jahre-Feeling, der Gassenhauer „S’Wonderful“ tänzelt als federleichter Bossa daher, fast schon ein bisschen zu zuckerwatteweich. Interessant ist das Album zudem, weil Brian Wilson erstmals aus dem Gershwin-Nachlass zwei Kompositionen umsetzen durfte, die bislang unveröffentlicht geblieben sind. Die beiden Songs „The Like In I Love You“ und „Nothing But Love“ werden möglicherweise deshalb ja sogar zum Fall für die Musikwissenschaft...
Die Schubidu-Chöre türmen sich dazu jedenfalls wuchtig durch alle Stimm-Register hindurch – vom Fafner-Bass bis zum Falsett. Darüber thront die dünne, brüchige, einsame Stimme von Brian Wilson.
Traurige
Gestalt
Wie ein Sänger von der traurigen Gestalt wirkt der 68-Jährige in solchen Momenten, fast schon tragisch. Die Kraft ist ihm abhanden gekommen. Legt man frühere Gershwin-Interpretationen, etwa die eines Louis Armstrong und einer Ella Fitzgerald, als Maßstab zugrunde, ist Brian Wilsons Gesang geradezu ein Fiasko.
Aber wer will ernstlich an einer musikalischen Legende kratzen, wenn sie auch im hohen Alter noch so wunderschöne Arrangements zustande bringt?