Oberhausen. .
Man muss sich dran gewöhnen, dass aus einer halben Missfitsfrau eine ganze Regisseurin geworden ist. Gerburg Jahnke hat mit den Ebertbad-Produktionen „Ganz oder gar nicht” und dem Western-Spaß, den man auf keinen Fall „Bonanza” nennen darf, Publikumsrenner inszeniert; und nachdem sie mit der Wechseljahre-Revue „Heiße Zeiten” in Hamburg gezeigt hat, dass sie auch fremde Federn schmücken kann, lässt sie jetzt mit „Sehnsucht” wieder etwas Hausgemachtes los, von dem man schon nach der Premiere sagen kann: Das wird Kult.
„Aaaabstrich!!!” Als Nito Torres die Bühne betritt, hat sie schon gewonnen. Der ehemalige Stadttheatermime spielt die Frauenarzt-Praktikantin Chayenne. Nach den ersten Takten „Walking on Sunshine”, dem ersten Staksen, nimmt man ihm die 17-Jährige ab. Da übt jemand sich selber und träumt von der wahren Liebe.
„Immer schön in die Füße atmen!..” – Gerade hat man sich darüber gefreut, dass sich Betriebspraktikum auf Heidi Klum reimt, da sagt jemand „So, da bin ich!”, und es gibt den ersten Szenenapplaus. Wer eine Frau kennt, die inniger keifen und entrüsteter gucken kann als Stephanie Überall, der soll sie nennen! Die andere Missfits-Hälfte ist endlich wieder da, wo sie hingehört: auf der Bühne. Sie singt wie ein Engel und heißt Frau Zänker, eine ergraute Dame mit einem Kerl, der zwar nicht im Bett, jedoch auf ihrem Sofa stört.
Wovon man nicht reden kann, darüber sollte man singen. Zum Beispiel über das, was man an stillem Begehren tief im Herzen trägt. Mit den großartig eingedeutschten Pop-, Rock- und Schlager-Schlagern entfalten sich kleine Geschichten von großen Sehnsüchten und Blütenträumen: von Geborgenheit und Freiheit, zerschrammten Knien und der Lieblings-Oma, von einem alten Sofa und dem Lärm der A 42, der wie Meeresrauschen ist, von Italien.
Zusammengehalten wird „Sehnsucht” durch vier spiel- und sangesfreudige Bühnenkaliber, durch den musikalischen Wundertäter Many Miketta und durch das Talent der Jahnke, Talente zu nutzen, zu bündeln, auszubalancieren. Und durch eine Pinkelprobe.
Die ist ein kleiner dramaturgischer Geniestreich und Frau Wollemann unheimlich. Reich, aber einsam, wird sie von Constanze Jung gespielt. Die Dame kann das Publikum solo von den Sitzen singen, und schlägt sich als Schauspiel-Novizin prima. Der wandernde Plastikbecher wird über die Nieder- und Zukunft von Frau Schmitt (Carmela De Feo) entscheiden, sorgt für Slapstick im Quartett und eine oscarverdächtige Szene, in der Frau Überall das Pipi hochhält wie Miss Liberty die Freiheitsfackel.
Noch ein lustiger Liederabend? Nein, mehr: eine komisch-melancholische Collage auf stupendem textlichen und musikalischen Niveau. Man kann sie mit Spaß an der Backe ein-, zwei-, drei-, vierstimmig an sich vorbeirauschen lassen, man kann aber auch genauer hingucken und eigene Süchte entdecken. Zum Beispiel nach noch so einem gut gemachten, kurzweiligen Theaterabend. Die Produktion bleibt laut Ebertbad bis Ende Januar vor Ort. Und ich wette: länger!
Karten: Tel. 0208-2054024