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Seit 20 Jahren schreibt Ingrid Noll Krimi um Krimi. Der neue Roman der 75-Jährigen heißt „Ehrenwort“ - und lässt den Biss und die Stärke vermissen, mit denen die Autorin einst ihre Leser in den Bann zog.
Es gibt Namen, die haben einen Wahnsinnsklang über Jahrzehnte. Nein, ich spreche nicht von Schiller.
Ingrid Nolls erstes Buch war eine Granate. Hinreißend böse porträtierte sie ein spätes Mädchen, das sich in einen jungen Schönen verknallt. Mit bemerkenswertem Geschick beseitigt sie vermeintliche Nebenbuhlerinnen und den neugierigen jungen Polizisten gleich mit. Man hat das konsumiert wie Prosecco, Schluck, Schluck, Schluck und weg. Und ah!
Sie schreibt seit 20 Jahren
Seit 20 Jahren schreibt die rührige alte Dame, sie ist inzwischen 75, Krimi um Krimi, sie verkaufen sich wie verrückt und mancher wurde verfilmt - „Die Apothekerin”, „Kalt ist der Abendhauch”. Aber so glänzend skurril, so hinterhältig raffiniert wie „Der Hahn ist tot” war nie wieder einer. Oder, um mal persönlich zu werden: Mir gefiel keiner davon.
Wer Ingrid Noll liebt, sollte jetzt lieber nicht weiterlesen.
Haarsträubend
Den neuen Roman habe ich aus Neugier zur Hand genommen, und als ich ihn 336 Seiten später weglegte, dachte ich, meine Güte, das hätte nicht sein müssen. Eine haarsträubend konstruierte Familiengeschichte - na gut, das sorgt für Irritation. Eine rührende Be-ziehungskiste zwischen Opa, 90, und gaaanz liebem Enkel - auch gut. Emotion sells. Aber alles andre ist kalter Kaffee. Der Opa ist gefallen und muss versorgt werden, aber Sohn und Schwiegertochter versuchen, dem lästigen Alten diskret ins Jenseits zu verhelfen. Was sich dabei an Zu- und Zwischenfällen ereignet; wie der Opa sich von der italienischen Altenpflegerin zur Le-benslust zurücklocken lässt - es könnte schon schön sein. Ist aber strohtrocken erzählt und verzichtet nicht nur um der heiteren Absurdität willen auf jede Logik.
Soll man glauben, dass zwei aufgeweckte junge Menschen komplett vergessen, dass es bei der Kripo sowas wie Spurensicherung gibt? Und dass ein junger Mann, der nicht wirklich auf den Kopf gefallen ist, kein bisschen das Brecheisen vermisst, das er unterm Bett gebunkert hatte?
Mehr sage ich nicht, lesen Sie selbst.
Sentimentale Geschichte
Und dann erklären Sie mir mal, wieso ich das Buch zu Ende gelesen habe. Spannend? Nein. Witzig? Selten. Vielleicht (um Himmels Willen!) ist es ja die sentimentale Geschichte vom wackeren Enkel, der mit dem Opa gegen alle Elternbosheit eine herzinnige Wohngemeinschaft gründet. Es wäre fatal, ich weiß.