Mülheim..
Sieg im siebten Anlauf: Roland Schimmelpfennig ist bei den Mülheimer Theatertagen für sein Stück „Der goldene Drache“ als „Dramatiker des Jahres 2010“ ausgezeichnet worden. Am Ende erhielt er eine Stimme mehr als Elfriede Jelinek.
Nein, nicht schon wieder die Jelinek!“, bahnte sich der Aufschrei schon im Vorfeld quer durch die 35. Mülheimer Theatertage, obwohl das Stück äußerst preisverdächtig war. Und so kam’s wie es kommen musste: Denkbar knapp fiel nachts um halb eins die Entscheidung der Jury zwischen der Wirtschaftskomödie „Die Kontrakte des Kaufmanns“ von Elfriede Jelinek, zum 14. Mal zu den „Stücken“ eingeladen und dreifache Preisträgerin, zugunsten von Roland Schimmelpfennig für sein berührendes, globales Sozialdrama „Der goldene Drache“.
Zum siebten Mal war Roland Schimmelpfennig in Mülheim dabei und war in der Vergangenheit hin und wieder haarscharf am Preis vorbeigeschrappt. So ist der mit 15 000 Euro dotierte Mülheimer Dramatikerpreis für Schimmelpfennig eine Premiere. Mit drei zu zwei Stimmen gab Jury-Mitglied Laura Olivi, Dramaturgin am Bayerischen Staatsschauspiel, den Ausschlag für „einen grandiosen Schimmelpfennig“ und eine „fantastische Geschichte mit einem Helden, der in einem Asia-Imbiss landet und als Leiche wieder in seiner Heimat ankommt.
Publikum mag Dea Lohers „Diebe“
Aus 140 Uraufführungen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz hatte ein Auswahlgremium ein Best-Of mit sieben Stücken für die 35. Mülheimer Theatertage ausgesucht. Schon frühzeitig schieden die angesagten Jungautoren bei der Jury-Sitzung aus, zu vorderst Nis-Momme Stockmann mit „Kein Schiff wird kommen“ , Dirk Laucke mit seinem Wendeverlierer-Drama „Für alle reicht es nicht“ und Kathrin Röggla mit ihrem Kampusch-Fall „Die Beteiligten“. Als schwer verdaulich erwies sich auch Ewald Palmetshofers Remake „faust hat hunger und verschluckt sich an einer grete“.
Für wen das Herz der Zuschauer schlägt, lag klar auf der Hand: Der Publikumspreis geht an Dea Loher für „Diebe“ in einer aufwändigen Inszenierung des Deutschen Theaters Berlin.
Das Stück beginnt mit Doris Days harmonischem „Que Sera, Sera“ und Singlefrau Linda, die den Frühstückstisch für eine fiktive Kleinfamilie deckt: Der Mann heißt Rainer, das Kind heißt Unbekannt. Und da gibt’s noch eine Utopie: Linda hat einen Wolf gesehen, einen mit blitzenden Eiskristallen im Fell.
Die „Aussicht“ ist aussichtslos
In „Diebe“ von Dea Loher ist der Graue ein Hoffnungsträger für die wiederkehrende Natur. Was tun, wenn man mitten in der Innenstadt auf einen Wolf trifft? „Das alles muss gelernt sein.“ Leben lernen – damit tun sich die zwölf an den Rand der Gesellschaft gedrängten Figuren insgesamt schwer. Scheu stehlen sie sich durchs Leben, so, als hätten sie es geklaut. Es sind mal wieder die kleinen Leute, denen Dea Loher mit einem liebevollen Blick eine große Bühne gibt. In Form eines riesigen Mühlrades, von dem sie ins Leben geworfen werden. Was alle miteinander verbindet ist die „Aussicht“, die aussichtslos ist, aber: „Es wird schon reichen. Geduld haben wir ja.“ In Episoden dreht sich die brachiale Vertikalbühne fast vier Stunden lang. Den Schauspielern gelingt in bedenklicher Höhe ein Balance-Akt gefährlich nah am Rand. Und eine Glanzleistung. Zum 12. Mal hat Andreas Kriegenburg ein Stück von Dea Loher inszeniert, diesmal in der Doppelrolle auch als Bühnenbildner.
Von einer ganz neuen Seite zeigt sich Dea Loher. Sind ihre Stücke sonst von schwer traumatisierten Figuren und großer Melancholie geprägt, dreht „Diebe“ ins Heitere, ja fast ins Boulevardeske mit brüllend komischen Szenen ab.
Doch viel zu lange plätschert dieses Mühlrad ohne dramatische Zuspitzung und Höhepunkte vor sich hin. Tragische Momente geraten überdeckt von greller Komik und heiler Nostalgie-Melodie bedenklich in die Schieflage. Und Dea Lohers virtuos aufgebautes Stück gerät ein bisschen ins Mahlwerk der Inszenierung.