Berlin. .

Vor dem ehemalige Postfuhramt in Berlin-Mitte stehen die Freunde der Fotografie regelmäßig Schlange. Vielleicht nicht mehr lang: Wie in Berlin die Galerie „C/O“, einer der lebendigsten Orte internationaler Fotokunst, aufs Spiel gesetzt wird.

Annie Leibovitz meidet gern das Scheinwerferlicht, wenn irgendwo auf der Welt ihre farbigen und schwarz-weißen Preziosen ausgestellt werden. Im Winter vergangenen Jahres machte die Amerikanerin für Berlin eine Ausnahme.

Als in der Galerie „C/O“ im ehemaligen Postfuhramt an der Oranienburger Straße ihre bundesweit einmalige Ausstellung „A Photographer’s Life“ eröffnet wurde, reiste die Starfotografin an - und verguckte sich sofort in den in die Jahre gekommenen Bau, von dem aus vor gut 100 Jahren die Briefe und Pakete noch mit Pferdekutschen ausgefahren wurden.

Mehr als einmal entfuhr der Künstlerin bei der von 160 (!) Fotografen begleiteten Begehung der auf 2000 Quadratmetern verteilten Ausstellungsräume ein erstauntes „Wow!“. Ob sie weiß, dass hier bald die Lichter ausgeknipst werden sollen?

Einer der lebendigsten Fotokunst-Orte der Hauptstadt

Seit das Privatgebäude an eine israelische Investorengruppe verkauft wurde, die hier Läden, Wohnungen und einen 14-geschossigen Hotelturm errichten will, steht der (neben dem Martin-Gropius-Bau) wohl lebendigste Ort internationaler Fotokunst in der Hauptstadt vor dem Aus. Ein Ort übrigens, der sich durch Eintrittsgelder und Vermietung der Räume selbst trägt und nebenbei sehr gezielt fotografischen Nachwuchs fördert; das alles mit einem 40-köpfigen, überaus freundlichen und tüchtigen Mitarbeiterstab.

Was einen besonders träfe: Stephan Erfurt, Fabrikanten-Sohn aus Wuppertal, Absolvent der Essener Folkwang-Schule, lange Jahre Fotograf für die FAZ - und gemeinsam mit Ingo Pott Ideengeber und Gründer der „C/O“-Galerie. Zehn Jahre her...

Wilhelminischer Pomp und abblätternder DDR-Charme

Seitdem zieht die Leute wie ein Sog an, was die Macher in dem zwischen wilhelminischem Pomp und abblätterndem DDR-Charme changierenden Gebäude regelmäßig auf die Beine stellen. Ob Martin Parr oder René Burri, ob Anton Corbijn oder James Nachtwey - wenn das „C/O“ ruft, stehen die Leute bei Vernissagen regelmäßig hunderte Schlangen-Meter auf der Straße. Das Warten lohnte sich immer. Im März 2011 soll das ein Ende haben.

Soll es natürlich nicht. In der Hauptstadt haben sich in den vergangenen Wochen Kulturschaffende für den Erhalt der sehr gelingend zwischen Museum, Galerie und Diskussionsforum pendelnden Einrichtung stark gemacht. Dass zu den Fürsprechern jetzt auch der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) gehört, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Vor fünf Jahren hätte der Senat das denkmalgeschützte Postfuhramt kaufen können. Man zierte sich.

Suche nach bezahlbarem Alternativ-Quartier

Gespräche, die Erfurt und Pott mit den Israelis über einen Kompromiss geführt haben (weniger Ausstellungsfläche in hinteren Gebäudeteilen), wurden jüngst ergebnislos abgebrochen. Ein Erlösausfall von 600 000 Euro, sagt „C/O”-Sprecher Mirko Nowak, wäre die Folge gewesen. Nun sucht man im gleichen Viertel, Berlin-Mitte, ein bezahlbares Alternativ-Quartier. „Wir wollen keine Subventionen, aber gebt uns ein Gebäude oder geeignetes Grundstück, nicht umsonst, sondern zur Erbpacht! Das werden wir dann als öffentlichen, lebendigen Ort für Fotokultur entwickeln“, hat Erfurt in einem Interview gesagt.

Die Zeit drängt. Für 2011 ist seit langem eine große Robert-Mapplethorpe-Retrospektive geplant. Auch Projekte für 2012 sind akut gefährdet. Aufgeben wollen die Ausstellungsmacher nicht. Auf ihrer Internetseite steht das bei Goethe entliehene Motto: „Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen.“