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Jugend ohne Vater: Gleich drei Filme beschäftigen sich in dieser Woche mit verlustreichen Familiengeschichten. Mal verschwindet der Vater auf NImmerwiedersehen, mal kommt er ums Leben. Oder der Herr Papa ist einfach nur ständig betrunken.

Da nimmt einer aus Versehen den falschen Zug und kommt dort an, wo sich plötzlich alles wie von selbst verbindet: Vergangenheit und Zukunft, ein Kindheits-Trauma und seine mögliche Umkehrung, jugendliches Wunschdenken und reife Erkenntnis.

Comic-Zeichner Thomas landet also nicht in Paris, sondern im Dorf seiner Kindheit. Er geht ans Grab seiner Mutter, fällt in Ohnmacht und ist wieder der 14-jährige Junge im Frankreich der späten 1960er Jahre. Die melancholische Zeitreise, die Sam Garbaski („Irina Palm“) mit „Vertraute Fremde“ nach einem preisgekrönten Manga des japanischen Comiczeichners Jiro Taniguchi inszeniert, vertraut dabei mehr auf die ruhige Atmosphäre seiner traumverlorenen Geschichte als auf die Gimmicks, die sich durch die kuriose Körperwanderung ergeben. Dass der junge Thomas seiner irritierten Familie die Mondlandung und den Fall der Berliner Mauer prophezeit, ist eine hübsche Idee. Wahrer Zweck der Wandlung ist aber, dass Thomas seinen Vater rückwirkend daran hindern will, die Familie an seinem 40. Geburtstag kommentarlos zu verlassen. Das Ereignis hat ihn zeitlebens geprägt.

Léo Legrand, der den jungen Thomas mit reifem Charme und konzentrierter Leichtigkeit spielt, besteht dabei problemlos neben Alexandra Maria Lara als gramgebeugte Mutter und Jonathan Zaccai als verschlossener Papa. Als leiseweises Selbstfindungs-Entwurf taugt dieser etwas betuliche Familienfilm dabei nur bedingt.

Kindheit unter Kampftrinkern

Familienprobleme ganz anderer Art hat der junge Gunther. Sein Vater ist ein arbeitsloser, versoffener Briefträger, sein Onkel ein Kleinkrimineller. Der Rest der heruntergekommenen Familie Strobbe besteht aus dumpfen Kampftrinkern und schmuddeligen Krawallbrüdern, die ihre etwas eigenwilligen Erfolgsmomente im Leben beim Nackt-Fahrradfahren oder beim Wetttrinken an einem gottverlassenen belgischen Bahndamm erleben.

Zwischen wüstem Wahnwitz und tragikomischem Sentiment hat Felix van Groeningen sein Jugenddrama „Die Beschissenheit der Dinge“ nach dem Buch von Dimitri Verhulst angesiedelt. Die Geschichte geht dabei zurück in die 1980er, sie zeigt uns Männer mit Bierwanst und Vokuhila-Frisuren, mit grölendem Sexismus und einer Schwäche für schwermütige Roy Orbison-Songs. Wie man zwischen so einer Ansammlung von seelenvollen Proleten erwachsen wird, erzählt uns Gunter im Rückblick, der nun Schriftsteller ist und Vater wider Willen - so wie sein Vater zuvor.

Van Groeningen macht daraus allerdings kein Sozialdrama, das von mangelnder Bildung und vererbter Armut berichtet. Er erzählt bloß mit viel Herz und Handkamera vom eigenwilligen Zusammenhalt dieser Verlierer, der im nächsten Moment in handfeste Konkurrenz umkippen kann. Zumindest, wenn es um eine Frau oder das nächste Bier geht.

Die Probleme wachsen

Filme über das Filmemachen, die gibt es schon. Aus Frankreich kommt nun „Der Vater meiner Kinder“ und widmet sich einem ansonsten eher vernachlässigten Motor des Filmemachens, dem Filmproduzenten.

Grégoire Canvel ist Filmproduzent und insofern ein gefragter Mann. Hotelunterbringung für Schauspieler regelt er ebenso nonchalant wie sein Familienleben mit Frau und drei Kindern am Abend. Grégoire (sagenhaft lässig: Louis-Do de Lencquesaing) ist der Tausendsassa, den nichts aus der Ruhe bringen kann außer vielleicht die Ruhe selbst. Grégoire hat alles im Griff, doch der Eindruck täuscht. Ein Filmprojekt läuft finanziell aus dem Ruder, ein anderes droht nicht rechtzeitig fertig zu werden. Die Verbindlichkeiten wachsen, die Banken verwehren die Kredite.

Als dann in einer einsamen Vorstadtstraße ein Schuss fällt, erreicht dieser Film einen schockierenden Wendepunkt, denn nun rückt Grégoires Ehefrau Sylvia (Chiara Casselli) ins Zentrum und versucht, das Geschäft zu erhalten und ihr Privatleben neu zu gestalten. Filmautorin Mia Hansen-Løve präsentiert in ihrer zweiten Kinoarbeit eine emotionale Achterbahnfahrt on the rocks. Selbst in Momenten privater Intimität und tiefster Trauer ist es stets das Geschäft, das sich Denken und Handeln überstülpt. Eine sympathische Erzählhaltung ist das nicht, umso mehr aber vermittelt sich die Drucksituation, die allein aus dem Faktor Geld erwächst.