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Die Schauspielerin Franka Potente entdeckte vor einigen Jahren ihre Liebe zu Japan - und nun auch ihre Leidenschaft für Literatur: Ihr literarisches Debüt ist ein Story-Band mit Geschichten aus Tokio.

Frau Michi tut sich oft schwer mit den Gaijin. „Sie waren zu laut, zu direkt. Ständig lag Konfrontation in der Luft. Dabei verkaufte sie nur Fächer.” Japan, dies verzauberte Land voller stiller Menschen, ist Schauplatz des literarischen Debüts von einer, die in der wohl marktschreierischsten aller Branchen Karriere machte: der Hollywood-Schauspielerin Franka Potente. Mit ihrem Story-Band „Zehn” beweist sie ein bisher unentdecktes Talent.

Klug hinterfragte Klischees

Frau Michi bekommt Besuch von einem Gaijin, einem Deutschen, der anders ist, der mit Interesse ihre Fächer betrachtet, ihre Lebensgeschichte hört. Eine ebensolche Besucherin wird Franka Potente gewesen sein, als sie erstmals 2005 zu Dreharbeiten an einem Dokumentarfilm nach Japan reiste – und seither häufig den Flug von Los Angeles nach Tokio nahm. In kleinen, glatten Sätzen schildert sie, was sie fasziniert an diesem Land – die menschlichen Geschichten, die Andersartigkeit des Denkens, die große Kluft zwischen Tradition und Moderne. Sie erzählt von der schwangeren Mariko, die ihrem ungeborenen Kind ein Bildungsprogramm von Bach bis Early English vorspielt und sich nur heimlich freuen darf, dass es ein Mädchen wird. Erzählt vom Absolventen einer Elite-Uni, dem ein heruntergefallenes, also verschwendetes Reiskorn als furchtbares Omen erscheint. Oder von dem jungen Tetsuo, der sich in eine Schwedin namens Ingeborga verliebt und einsehen muss: „Er hatte sich übernommen.” Zu expressiv, zu einnehmend ist die Europäerin.

Die Klischees, die Franka Potente aus dem Repertoire der Japan-Bilder aufgreift, hinterfragt sie gleichzeitig auf kluge Weise; sie beschreibt ein Land im Umbruch, an der Grenze zwischen westlichen Einflüssen und religiösen wie gesellschaftlichen Traditionen. Ihr Stil bleibt dabei stets auf angenehme Weise zurückhaltend, in ihrer Knappheit erinnern ihre Sätze oft an die hierzulande so gefeierte japanische Autorin Banana Yoshimoto. Nur wenige Male scheinen ihr die eigenen Stories zu entgleiten – immer dann, wenn sie eine spektakuläre Wendung, eine Dramatik versucht. Wie etwa in der Geschichte über eine Mutter, die ihr eigenes Kind beinahe vom Balkon stürzen ließ. Oder in der Erzählung über einen alten Mann, der von einem Geisterbild in den Tod begleitet wird. Geschichten also, die nicht der eigenen, scharfen Beobachtung fremder Menschen und ihrer Sitten entliehen sind.

Tradition und Religion

Das japanische Schriftzeichen für „zehn” ähnelt dem christlichen Kreuz, und in manchen Geschichten scheint Potente tatsächlich die Tragfähigkeit der zehn Gebote im neuen Umfeld zu erkunden. Der Mann, der ehebricht, die Mutter, die beinahe tötet, die japanische Austausch-Schülerin, die ihres Nächsten Haus begehrt – in dem Sinne, dass sie das Haus ihrer Gasteltern in Los Angeles mehr liebt als ihr eigenes Heim. Auch Lüge und Verstellung in der japanischen Kultur untersucht die Autorin mit Witz: Miyu arbeitet im Kostüm-Cafe´ „Kitty Kat”, dort lernt sie den Polizisten Seiji kennen. Was er nicht weiß: Am Wochenende verdient Miyu ihr Geld als Stripperin. Hollywood ist weit weg, aber das Ende ist doch happy. Auf eine ruhige, stille Art.

  • Franka Potente, „Zehn“, Piper-Verlag, 176 Seiten, 16,95 Euro