Bergkamen. .
Acht Wochen öffnen Bewohner Fremden ihre Türen. Zur Biennale für Internationale Lichtkunst haben Künstler Häuser, Scheunen und Garagen in Kunstwerke verwandelt. Man merkt es nicht gleich, aber was hier geschieht, ist eigentlich unglaublich.
Die alte Dame steht im Garten und hackt Unkraut. Ein getigerter Kater sieht aufmerksam zu. Drinnen verabschieden sich Gäste, die nächsten haben schon geklingelt: Denn der Konzeptkünstler Joseph Kosuth hat aus der Abstellkammer von Frau Schmidt Kunst gemacht. An Regalen voll ausrangierter Vasen und sorgfältig verpacktem Weihnachtsschmuck hängen Neon-Worte wie in Tankstellen im Wilden Westen, oder an Dönerbuden in Wattenscheid. Geschichte. Ganzheit. Teile. Es passt zu den beschrifteten Lebenskästen der alten Dame; sie ist 82.
Die wundersame Rumpelkammer in Bergkamen ist Teil der Kulturhauptstadt. Die Biennale für Internationale Lichtkunst findet statt in Häusern, Scheunen und Garagen in Unna und Umgebung. Viele Installationen sind speziell für diese Orte entstanden. Acht Wochen lang öffnen die Bewohner Fremden ihre Tür, jeden zweiten Tag von 10 bis 6.
Eigenartig, aber nicht fremd
Sie wollten mal was anderes, sagen sie freundlich und unprätentiös; und wissen: Sie haben etwas bekommen, das ihr Leben verändert. Einen Künstler, der ihnen gehört.
Und die Besucher? Wie würde das sein, irgendwo zu klingeln und zu sagen, guten Tag, mein Name ist Norbisrath, darf ich mir mal Ihre Lichtkunst ansehen?
Es ist eigenartig, aber nicht fremd. Es ist einfach. Weil Kunst etwas Einfaches ist, auch wenn manche sagen, Kunst wäre was für Experten.
Das sind die meisten Besucher nicht. Die meisten Gastgeber auch nicht. Manche haben den Teppich aufgerollt, manche machen Erinnerungsfotos; manche verteilen Plastiküberzieher für die Schuhe. Manche haben selbstgemalte Aquarelle an der Wand, manche späte Osterhasen im Vorgarten. Manche sind nicht zu Hause: weil sie Lust haben, im Garten Unkraut zu hacken.
Dann öffnen Betreuer die Tür. Sie wissen viel, aber sie verweigern sich Deutungsversuchen, sagen stolz: „unser Objekt!” und liebenswert ruhrdeutsch: „Da muss sich jeder selber was bei denken”. Auch sie sind Leute von hier, und wollten: mal was anderes.
Man merkt es nicht gleich, aber was hier geschieht, ist eigentlich unglaublich.
Zugereiste sind verwundert
Unna ist eine Gegend, in der die Leute „Tschau ey!” sagen und der Gastronom antwortet: „Du auch.” Ganz normal eben. Dass hier Lichtkunst zu Hause ist, wundert Zugereiste; den Hamburger, der letzte Woche nach Fröndenberg kam, um zu sehen, was sie da für einen Boltanski haben.
Oder das englisch sprechende Paar, er Niederländer, sie aus den USA. Sie haben andächtig die Kugelleuchte umrundet, die bei Grziwotz’ in Bergkamen das Parkett beleuchtet; ihrerseits bestrahlt von Lampen des berühmten Olafur Eliasson. „Man muss herumgehen, dann entstehen farbige Schatten an der Wand”, sagt die Hausfrau; „es waren Gäste da, die haben es uns gezeigt und gesagt, dass die Künstler es so gemeint haben. Und ich glaube das, obwohl ich es nirgendwo gelesen habe.” Natürlich glaubt sie das; sie sieht die Schatten ja.
Das englisch sprechende Paar ist sehr angetan, aber in der Scheune von Middendorfs, wo Francois Morellet eine leuchtende Schlinge aus dem Gebälk fließen lässt, stehen sie ganz still und flüstern: „It’s still more grateful”. O, sie werden ihren Freunden sagen, dass sie nach Bergkamen, Germany, fahren sollen.
Bergkamen, Germany
Die meisten Gäste kommen von nebenan, aus dem Ruhrgebiet. Sie fahren mit dem Lichtkunst-Bus in die ländlich behaglichen Orte rund um Unna, staunen: „Hier war ich noch nie!” Wenn die Gruppe groß ist, werden zwei draus gemacht, so viel Besuch auf einmal schafft kein Wohnzimmer; der Busfahrer will auch mit rein. Fragen gibt es kaum, höchstens mal, wie das funktioniert, der Scheinwerfer da? Wie macht der das?
Die Installation von Christian Boltanski ist vielleicht die stärkste. Sie füllt eine Wand im verwinkelten Haus der Herrmanns; rostigrote Metallkästen, darüber Fotos, kalt angestrahlt. Mädchengesichter, sie alle sehen aus wie Anne Frank. Erinnerung an das Schicksal des Künstlers und seines jüdischen Vaters, der sein Kind verließ, um es zu retten.
Kein Museum. Leben
Nein, sagt Herr Herrmann, es beeinträchtigt ihn nicht, dass dies ernste Werk jetzt für eine Weile in seinem Haus ist, es ist ihm eher ein Anlass, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Und sein Sohn hat gesagt, ich mach jetzt auch einen Boltanski; er zeigt auf einen Scherenschnitt am Fenster. Hier ist kein Museum, hier ist Leben; die Gruppe geht nachdenklich hinaus, zum nächsten Werk.
Es ist eine Komposition für Wanne, Leinwand, Schwerfer und Rotoren, Finnbogi Petursson hat sie gebaut, für eine Garage. Die Betreuerin schaltet die Rotoren ein: Es flappt, die Schatten der Wellen laufen über die Leinwand. Wasser, Licht, Flapp; Wasser, Flapp, Licht. Flapp. Flapp. Flapp. Irgendwann fragt ein älterer Herr höflich, ob der Künstler vielleicht eine bestimmte Zeitspanne ...? „Nein“, sagt die Betreuerin, „Sie können, solange Sie wollen. Das ist eine Endlosschleife.” Ja, dann ist es mir jetzt genug, sagt der Herr resolut. Und fragt den Busfahrer, wo es in Unna einen Italiener gibt. Kunst ist schön, macht aber hungrig.