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Margaret und Enrique sind beinahe drei Jahrzehnte verheiratet; ihre Ehe gründet auf einer Großtat. Der 17-jährige Enrique schmiss einst leichthin die High School, um Romane zu schreiben, doch kostete ihn das erste Date mit Margaret einigen Mut aus Gründen, die mit dem „eiskremzarten Weiß ihrer sommersprossigen Haut” zu tun hatten und „unglaublich großen, leuchtend blauen Augen”. Äußerlichkeiten – wie auch der Haarausfall Margarets, ihr Erbrechen, ihr künstlicher Darmausgang knapp 30 Jahre später. Als Margaret an Blasenkrebs stirbt, „ein zentimeterweises Sterben”, pflegt Enrique nicht nur sie, sondern auch den Terminkalender voller Abschiedsbesuche. Die „makabre Aufgabe als Sekretär” erfüllt eine „armselige Form von Eitelkeit”, „als Ausgleich für das, was er verloren hatte, gerade verlor und für immer verlieren würde”.
Den Kern seines Inneren: die Liebe seines Lebens.
„Glückliche Ehe”: So lautet der Titel des berührenden Romans, in dem Rafael Yglesias eine Form fand für eigenen Verlust: Von 1977 bis zu ihrem Tod 2004 war er mit Margaret Joskow verheiratet; auch den Schulabbruch, das jugendliche Romandebüt, die zwei Söhne und das Leben in Manhattan dürfen als gesicherte biografische Parallelen zu Enrique gelten. Yglesias erzählt auf zwei Zeitschienen, vom Kennenlernen des Paars in den 70ern und vom Kampf gegen den Krebs bis zu Margarets Tod. Durch die Konstruktion schafft er sich Distanz, die Literatur braucht. Und umgeht die Kernfrage: Wie wurde diese erste Leidenschaft zu einer Liebe, die Affären, Kinder, berufliches Scheitern überdauern konnte? Was machte diese Ehe: glücklich?
Die erstaunliche Antwort: die Vernunft. Noch erstaunlicher: Dass Literatur heute diese Frage überhaupt aufwirft. Wo doch unglückliche Ehen fast schneller im Müll landen als angebrannte Bratkartoffeln. Yglesias scheint in seiner Vehemenz Anführer einer allgemeinen Erkenntnis zu sein. US-Autor Andrew Sean Greer feierte jüngst in seiner „Geschichte einer Ehe” den Durchhaltewillen einer starken Gattin. Hier zu Lande erkundete Arno Geiger in „Alles über Sally” das Geheimnis jener 70er-Jahre-Spontanehen, jenen Lust- und Luftschlössern, die wundersam Bestand hatten – weil sie sich nicht auf Liebe allein verließen.
Nur: Worauf denn dann?
Schauen wir in die Abteilung Sachbücher. Dort ruft Sven Hillenkamp „Das Ende der Liebe” aus, atemlos und übersteigert zwar, doch bedenkenswert: „Die Liebe war eine Schwester der Freiheit. Nun reißt die Freiheit sie mit in den Tod.” Unmögliche Möglichkeiten: „Die Menschen müssen sich überwinden, mit einem anderen zusammenzubleiben, sich mit einem anderen zu bescheiden, es mit einem anderen auszuhalten. Aber sie wollen sich nicht mehr überwinden. Denn sie sind freie Menschen.” Hillenkamp wettert an gegen Freiheit, ebenso aber gegen freiwillige Selbstkontrolle. Weil auch die Aufgabe, einen Partner zu finden, der „passt” und „gut tut”, nur „von außen aufgezwungen” sei. Was denn nun?
Wo Hillenkamps Poetik und Polemik endet, beginnt Arnold Retzers „Lob der Vernunftehe”. Der Psychologe und Paartherapeut gibt in seiner „Streitschrift für mehr Realismus in der Liebe” lebenspraktische Tipps: „Dauerhafte Beziehungen haben dauerhafte Probleme” - man soll sie als unlösbare „Restriktionen” begreifen. Auch der Idee der Gleichheit, des steten Glücks oder gar Ehefriedens erteilt er humorvoll eine Absage („Eheliche Kampfkunst und ihre Regeln”).
Laufen lernte die Liebe in den 60er- und 70er-Jahren - jetzt soll sie denken. Soll zwei Ehevisionen vereinen: die adelige Vernunftehe mit der bürgerlichen Liebesheirat. Und soll sich mit Beharrlichkeit den Trends entgegenstemmen.
Auch Retzer benennt den „flüchtigen Zeitgeist” als Feind der „dauerhaften Ehe”. Vor allem aber macht er die „Liebesmythen” verantwortlich, die seit Platons Ur-Geschichte von den zweigeteilten Menschen erzählt werden: „Es scheint tatsächlich so, dass die abendländische Kultur nur eine Fußnote zu Plato ist.” Und dann küssten sie sich ins Happy End: „Liebesromane enden, wo das Leben zu zweit beginnt.” Alles andere heißt dann: Drama.
Doch vielleicht, um den Ehe-Ring zu schließen, erlebt der klassische Beziehungs- und Eheroman ja nun eine Trendwende: vom Problemstück zur wunderbaren Love Story. Dann müssten wir nicht mehr argwöhnen, dass der Titel „Glückliche Ehe” nur ironisch gemeint sein kann.