Dusiburg. .
Viel leiser als auf der documenta: Das Museum DKM verzichtet auf spektakuläre Arbeiten Ai Weiweis, Besinnlichkeit ist angesagt. Und ein Rückblick auf den Werdegang des Künstlers: Man erinnert seine wegweisende Zeit im New Yorker Exil.
Eine kleine Retrospektive im Duisburger Museum DKM überblickt das Werk des chinesischen Konzeptkünstlers Ai Weiwei. Dabei interessieren vor allem die leisen Seiten im Schaffen des Medienlieblings, der sonst eher durch laute Aktionen von sich reden macht.
Kommt er, kommt er nicht? Wohl eher nicht. Weder bei der Pressekonferenz noch bei der Eröffnung seiner kleinen Retrospektive im privaten Museum DKM werde Ai Weiwei zugegen sein, so heißt es aus Duisburg zunächst. Eine Woche vor Ausstellungsstart dann die unerwartete Nachricht: Der Künstler plant nun doch einen Blitzbesuch, für den nächsten Vormittag bereits. Ai Weiwei wolle sich die stille Schau mit Werken aus 25 Schaffensjahren ansehen. Ein paar Journalisten dürften dabei sein, Fragen stellen, wohl auch Fotos schießen. Natürlich hänge das auch vom Befinden des Meisters ab.
Rollentausch: Ai Weiwei fotografiert die Pressevertreter in der Konferenz
Am Tag zuvor erst hat der Künstler zum Auftakt der Lit.Cologne vor großem Publikum mit Nobelpreisträgerin Herta Müller über Totalitarismus und Kunst diskutiert. Am Morgen ist er dann über die volle Autobahn zum Museum gerollt. Nun sitzt der beleibte Chinese mit Fuselbart dort ruhig am großen Tisch und gibt auf die Fragen der Presse mit leiser Stimme und vielen Worten wenig handfeste Antworten. Was ihn viel mehr beschäftigt, sind Handy und Kamera, die er pausenlos in die Runde richtet – so wie er es schon am Abend zuvor in Köln gehalten hatte. Die Fotos braucht Ai Weiwei, wie man hört, für sein Blog – das Web-Logbuch ist Kunstwerk, kritisches Sprachrohr und bietet dem Regimekritiker zugleich Schutz durch Weltweit-Präsenz.
In Duisburg knipst Ai Weiwei alles: die Journalisten, die Leihgeber, die Museumsstifter. Und den Kurator. Mit Roger M. Buergel konnte das DKM einen recht namhaften engagieren: Als künstlerischer Leiter der documenta 12 hatte er Ai 2007 nach Kassel geladen, wo der Künstler zusammen mit 1001 eingeflogenen Landsleuten für Wirbel sorgte. Ebenso publikumswirksam sein aus Resten chinesischer Altbauten zusammengeschusterter »Template«, der kurz nach der Eröffnung des Kasseler Großereignisses einem stürmischen Sommergewitter zum Opfer fiel und für den Rest der Laufzeit in Trümmern lag.
Wo nicht die Kunst, sondern ihr prominenter Schöpfer die eigentliche Attraktion ist
Nun spricht Buergel in Duisburg vom Missverhältnis, das ihn nerve und dem er mit seiner kleinen Retrospektive entgegenwirken wolle: Auf der einen Seite jener ungeheure Medienrummel, der um Ai Weiwei betrieben werde, auf der anderen Seite sein bemerkenswertes Werk, das in der Öffentlichkeit wenig bekannt sei. Es ist schon merkwürdig – man stößt sich am Personenkult und wirkt doch eifrig daran mit. Nicht anders an diesem Vormittag bei der eilig einberufenen Exklusivkonferenz, wo sich Augen, Ohren, Kameras allein auf den Künstlerstar richten, wo nicht die Kunst, sondern ihr prominenter Schöpfer die eigentliche Attraktion ist.
Derweil sich die angereisten Medienvertreter um Ai Weiweis rare Zeit zanken – Fotos, Filmaufnahmen, Interviews, und die Uhr tickt –, mag sich der eine oder andere in den Ausstellungssälen umtun und dort unter dem jegliche Sensation verneinenden Titel »Barely Something« – »Kaum etwas« – tatsächlich einem leisen Ai Weiwei begegnen. Stiller als bei der documenta, viel zurückhaltender auch als beim Großauftritt unlängst in München, wo Ai die Fassade am Haus der Kunst mit 9.000 bunten Rucksäcken gepflastert hatte; in Erinnerung an tausende von Schulkindern, die beim Erdbeben von Sichuan starben.
Weiweis Vater war Dichter, während der Kulturrevolution musste er öffentliche Latrinen leeren
Das DKM verzichtet auf spektakuläre Arbeiten dieser Art. Besinnlichkeit ist angesagt. Und ein Rückblick auf den Werdegang des Künstlers. Man erinnert an Ai Weiweis wegweisende Zeit im New Yorker Exil: 1986 schuf er dort sein bisher selten gezeigtes Frühwerk »Five Raincoats Holding up a Star«; nun hat er die Bodenskulptur eigens für Duisburg aus dem Fundus gekramt. Während um ihn herum die neoexpressionistische Malerei tobte, betrieb Ai hier eine Art Privatarchäologie: Zusammengeknöpft und kreisrund ausgebreitet lassen seine Gummimäntel, die damals zum chinesischen Einheitslook gehörten, an ein uniformes gesellschaftliches Ganzes denken. Dünne Röhren, die in den Ärmeln stecken, formieren sich zum fünfzackigen Stern – nationales Symbol der Volksrepublik China.
Zwölf Jahre verbrachte der Chinese in New York, hielt sich mit allen möglichen Jobs über Wasser und besuchte, nach eigener Auskunft, jede Ausstellung in der Stadt – Museen und Galerien als Akademie.
Nach seiner Rückkehr ging 1995 die bekannte Performance »Dropping a Han Dynasty Urn« über die Bühne. Drei Fotos und ein Scherbenhaufen dokumentieren in Duisburg Ai Weiweis Auftritt im Sweatshirt irgendwo draußen vor einer Backsteinmauer: Nummer eins präsentiert den Künstler mit der Urne in den gespreizten Fingern, auf Bild zwei haben sich Ai Weiweis Arme geöffnet, und die antike Keramik findet sich in freiem Fall kurz vor dem Aufprall. Das dritte Foto schließlich zeigt die Scherben zu Füßen des noch immer völlig ungerührten Künstlers, dem bei seiner Vorführung wohl die Zerstörungsorgien der Kulturrevolution durch den Kopf gingen, als geschichtsträchtige Symbole – von der Urne bis zum Tempel – auf Geheiß Mao Zedongs massenweise zu Bruch gingen.
Immer wieder sieht man in der Ausstellung Ai Weiwei in der Vergangenheit stöbern. So förderte er 2003 etwa zehn Fußpaare abgeschlagener Buddhastatuen der Nördlichen Qi-Dynastie zu Tage. Hier sind sie auf einem großen Holztisch arrangiert. Nebenbei startete Ai manch Aufsehen erregende Aktion – 2000 etwa, als er Anstoß an der Shanghai Biennale nahm und eine Gegenveranstaltung namens »Fuck Off« auf die Beine stellte.
Der kritische Geist war dem 1957 in Peking geborenen Sohn des berühmten Dichters Ai Qing sozusagen in die Wiege gelegt. Seine Jugend verlebte der kleine Weiwei während der Kulturrevolution in einem Provinznest der Wüste Gobi, wo der verbannte Vater statt zu dichten öffentliche Latrinen leeren musste.
Ai Weiwei mag Peking nicht
Die chinesische Regierung ließ den Dissidenten Ai Weiwei lange gewähren – trotz des Aufruhrs, der in seinen Kunstwerken und -aktionen laut wird. Zu handfesten Übergriffen kam es erst 2009, nachdem der Künstler sich auf die Spuren der vielen Tausend Kinder gemachte hatte, die beim Erdbeben in Sichuan unter den Trümmern schlecht gebauter Schulen zu Tode gekommen waren. Sie seien Opfer von Baupfusch und Korruption, so klagte Ai Weiwei und startete gegen den Widerstand der Regierung groß angelegte Recherchen.
Auch davon erzählt die Schau in langen Listen mit Namen und Geburtsdaten der toten Kinder von Sichuan. Und in zwei Röntgenbildern – sie belegen Ai Weiweis lebensbedrohliche Hirnblutung als Folge brutaler Polizeiprügel. Die Operation im Klinikum Großhadern bei München und der glimpfliche Ausgang jener Geschichte sind noch gut in Erinnerung, ebenso wie die vielen fotografischen Selbstporträts des Künstlers im Operationshemd mit Pflastern und Schläuchen.
Umso mehr überrascht der weiterhin gültige Hinweis in seiner Biografie: »Lebt und arbeitet in Peking, China«. »Peking, das war von jeher das Zentrum der Macht in China«, weiß Ai Weiwei. »Deshalb habe ich die Stadt auch nie gemocht.«
Museum DKM, Duisburg. Bis 20. September 2010.
Text: Stefanie Stadel
Erschienen in: K.WEST, Ausgabe April 2010