Dortmund. .

Fazil Say, türkischer Komponist und Pianist, gastiert von Mittwoch bis Samstag im Dortmunder Konzerthaus im Rahmen von Ruhr.2010. Obowhl er von seinen Landsmännern als Genie gefeiert wird, besuchen nur wenige Türken seine Gastauftritte in Deutschland.

Wenn Dortmunds Konzerthaus-Intendant Benedikt Stampa in der Mittagspause die Dönerbude seines Vertrauens betritt, wird er immer mit großem Hallo begrüßt. Das Team weiß längst, wer bei ihm regelmäßig seinen Hunger stillt. Am kommenden Wochenende werden die Gastronomen erstmals Stampas Konzerthaus besuchen. Die Ursache dürfte nicht ein plötzlich erwachtes Interesse an klassischer Musik sein. Die Türken wollen Fazil Say sehen, ihren Landsmann, auf den sie stolz sind.

Dazu haben sie allen Grund. Der 40-Jährige gehört zu den gefeierten Pianisten und Komponisten der jüngeren Gegenwart, in den Kritiken taucht regelmäßig das Wort „Genie“ auf.

Klassik als ferner Kosmos

Fazil Say, der von Mittwoch bis Samstag in Dortmund gastiert, wird sich über türkische Zuhörer sehr freuen. Er sieht sie selten genug im Publikum. „Ich beobachte das jetzt seit rund 15 Jahren. Der Anteil von Türken in meinen Konzerten in Deutschland liegt bei fünf, höchstens zehn Prozent.“ Say, der die Rhein-Ruhr-Region durch seine Studienzeit an der Düsseldorfer Robert-Schumann-Hochschule bestens kennt, erklärt diese Mangelerscheinung unter anderem mit der Struktur der türkischen Bevölkerung. Die meisten Menschen seien in erster Linie zum Arbeiten nach Deutschland gekommen. Da ist Klassik ein ferner Kosmos. Allenfalls einige Studenten würden den Weg in die Säle finden.

Es gibt nur gute und schlechte Musik

Say will dies ändern. Und er will erreichen, dass seine Landsleute nicht nur in seine Konzerte kommen, sondern auch andere Musiker und Komponisten kennenlernen. Wie groß das Interesse und die Neugier sind, hat er von 2002 bis 2005 bei einer Tournee durch Anatolien festgestellt. Einmal pro Monat brachte er die Landbevölkerung in einer anderen Stadt mit klassischen Tönen in Berührung - die Säle waren überfüllt. „Ich denke, dass dort jeden Monat ein anderes Orchester hinfahren müsste. Ich selbst werde jedenfalls noch lange Jahre daran arbeiten, den Menschen Musik nahe zu bringen. Ich denke, es ist absolut einen Versuch wert.“

Welche Art von Musik das ist, spielt für Say dabei nur eine untergeordnete Rolle. Für ihn existiert kein Unterschied zwischen U- und E-Musik, er hält es wie Louis Armstrong: Es gibt nur gute und schlechte Musik. Johannes Brahms sei genau so wichtig wie Ravi Shankar oder der anatolische Volkskomponist Asik Veysel. „Ich glaube fest daran, dass Kunst und Kultur Mittel sind, dass sich Menschen und Völker besser verstehen.“

Das Team aus der Dönerbude ist mit dabei

Vielleicht schwingt bei diesem Satz auch die Hoffnung mit, dass ihm selbst in seinem Heimatland mehr Verständnis - und Toleranz - entgegengebracht wird. Denn Fazil Say vertritt nicht nur in musikalischen Angelegenheiten laut und deutlich seine Meinung, sondern auch in politischen. So löste es vor drei Jahren erhebliche Misstöne in der Türkei aus, als er in einem Interview die konservative Regierungspartei AKP kritisierte und die Möglichkeit in den Raum stellte, aus seinem Heimatland wegzuzuziehen. Wie zerrüttet das Verhältnis immer noch ist, offenbart die Tatsache, dass Say als einer der größten Stars des Landes nicht zur Eröffnungsfeier der Kulturhauptstadt Istanbul eingeladen wurde. Mehr noch: Fazil Say hatte angeboten, neben vier Konzerten auch zehn Workshops in Schulen zu veranstalten – ohne Honorar. Die Organisatoren zeigten ihm die kalte Schulter. Man kann die Verbitterung spüren, wenn er diese Entwicklung als „idiotische politische Spielereien“ kommentiert.

Die will er in Zukunft nicht mehr mitmachen. Er wolle sich darauf konzentrieren, gute Werke zu komponieren. So wie die „Istanbul-Sinfonie“ – deren Uraufführung am Samstag das Team aus der Dönerbude miterleben wird.