Berlin/Dorsten. .

Der Plagiatsskandal um Helene Hegemann zieht Kreise bis ins Ruhrgebiet. Abgeschrieben hat die junge Autorin aus dem Buch „Strobo“, das Frank Maleu und Marc Degens aus Dorsten in ihrem Berliner Verlag „Sukultur“ herausgebracht haben.

Die Spur führt ins Ruhrgebiet: Im Zentrum des größten Plagiatsspektakels der letzten Jahre stehen nicht nur die 18-jährige Helene Hegemann und ihr Debutroman „Axolotl Roadkill“ – sondern auch der Blogger und Buchautor Airen, bei dem die Jungautorin abgeschrieben hat. Frank Maleu und Marc Degens aus Dorsten haben Airens Buch „Strobo“ im letzten Sommer in ihrem Berliner Verlag „Sukultur“ herausgebracht.

Gibt es eigentlich ein Dorstener Leben im Berliner?

Marc Degens.
Marc Degens. © fremd

Anruf der WAZ bei Frank Maleu in Berlin. „Gibt es eigentlich ein Dorstener Leben im Berliner?“ Man hört fast, wie der 37-Jährige die Augen rollt. Okay, Schlechte Adornowitze sind vielleicht kein optimaler Einstieg für ein Gespräch mit dem Kleinverleger, der bis ein Uhr morgens die zweite „Strobo“-Auflage eintütet. Weil doch jetzt alle Welt das Buch lesen will, das Hegemann so toll fand, dass sie gleich ganze Passagen daraus kopierte. Aber Maleu nimmt den Adorno nicht übel. „Eine Plagiatsklage kriegen Sie dafür jedenfalls nicht.“ Auch mit dem Ullstein-Verlag, wo Hegemanns Plagiatbuch erschienen ist, haben sich die Sukultur-Verleger im Stillen geeinigt.

Drei Tage nach dem Telefonat sitzen Maleu und sein Partner Marc Degens in einer Vorortkneipe im Norden von Berlin. Baumärkte, zersiedelte Ortschaften, Trinkhallen. Hier in Reinickendorf sieht Berlin aus wie Recklinghausen. Ob sich die Dorstener deshalb so wohl fühlen? Eine Art Heimatersatz 500 Kilometer weiter im Osten? Maleu, der Mitte der Neunziger Jahre zum Jurastudium nach Berlin kam, ist da leidenschaftslos. Er ist aus Dorsten weggegangen, weil ihm die Stadt zu eng war. Zuviel Tratsch, zu viele Kleinstadtreflexe. „Eine Schlafstadt.“ Und die Schule, das Petrinum? Na ja, zumindest hat er im Kunstkurs neben Marc Degens gesessen. 1992 Abitur, dann nix wie weg. „Dorsten zwingt einen dazu, etwas zu machen, sonst geht man kaputt.“ Harte Worte.

Degens, der Germanist, sieht die Sache sanfter. Er besucht manchmal seine Eltern, erinnert sich an die nächtlichen Radfahrten mit seiner Freundin am Kanal. Wie schön das war. Er grinst zu Maleu rüber. „Jetzt, wo es Internet gibt, kann man’s da besser aushalten.“ Degens klappt sein Laptop auf und zeigt dem Freund ein paar Fotos vom letzten Besuch. „Ach, das ist ja unsere Schule.“ Maleu zieht die Brauen hoch und sagt dann doch noch etwas Versöhnliches: „Wenn man jetzt am Telefon zufällig einen aus dem Ruhrgebiet hat, dann hat der natürlich einen Vertrauensvorschuss.“ Der trockene Humor der alten Heimat, das Offene und Gradlinige – das alles will er ja gar nicht leugnen.

Frank Maleu.
Frank Maleu. © fremd

Seit zehn Jahren betreiben die beiden Dorstener zusammen mit einem dritten Freund in Berlin den „Sukultur“-Verlag. Bundesweit bekannt wurde „Sukultur“ vor einigen Jahren mit seinen Groschenheftchen: Gute Literatur für einen Euro aus dem Süßigkeitenautomaten. Rund 50000 Büchlein sind bereits verkauft.

Der Aufmerksamkeitsschock

Dann kamen erst „Axolotl Roadkill“ und der Hegemann-Hype in den Feuilletons, dann die Plagiatsdebatte und am Ende das, was Degens den „Aufmerksamkeitsschock“ nennt. Der 38-Jährige ist extra aus Armenien angereist, wo er seit zwei Jahren mit seiner Frau lebt. Über den kleinen Verlag ging gerade das Blitzlichtgewitter des Feuilletonskandals nieder – und eine Frage wurde immer wieder gestellt: Klagt „Sukultur“ gegen Ullstein? David gegen Goliath? „Nein“, sagt der Jurist Maleu. „Wir haben die Abdruckgenehmigung nachträglich erteilt.“ Sicher, man hätte mehr Druck ausüben können. „Aber das hätte in letzter Konsequenz ein Buch verhindert. Das wollen wir nicht.“

Anfang der Woche ist Marc Degens wieder nach Armenien abgereist, und Frank Maleu kommt endlich wieder vor Mitternacht ins Bett. Der Blogger Airen wird ihnen keine schlaflosen Nächte mehr bescheren – das macht er jetzt woanders. Der Szenestar ist über das ganze Spektakel zum gefragten Autor geworden. Die großen Verlage haben schon angeklopft. Und seine beiden Entdecker lassen ihn ziehen. Traurig? „Wir wollen uns ja nicht dem Markt hingeben“, sagt Maleu und zuckt die Achseln. „Nur wegen Strobo werden wir doch kein normaler Verlag.“ Klingt vertraut, klingt nach Reviertradition. Klingt wie: „Sollen die anderen sich aufregen - wir machen weiter unser Ding.“