Dortmund/Bochum. .
Die Kulturhauptstadt lässt tief blicken. Auf der „Route der Wohnkultur“ können Neugierige hinter die Wohnungstüren im Revier blicken. „Eine strittige und ehrliche Komposition“ soll es sein - denn gezeigt wird nicht nur Schönes.
Oh, Besuch! Holger Rietz macht die Tür vom Zechenhäuschen auf, und 41 Menschen draußen schauen ihn erwartungsfroh an; um die Wahrheit zu schreiben: Manche recken sich auch schon unmerklich, um an der großen Gestalt des früheren Bergmanns vorbeischauen zu können, tief in seinen Flur.
„Das ist ja schon ein bisschen viel“, sagt Rietz freundlich, gibt dann aber doch den Weg frei; der Mann wird übrigens recht behalten, 41 Leute auf 87 Quadratmetern Zechenhäuschen sind ein bisschen viel. Und los geht das Löchern: Und wie lange wohnen Sie schon hier? Zwanzig Fragen später ist man schon bei: Wo ist eigentlich Ihre Frau?
Zugegeben, das war nur ein Versuchsbesuch. Architekten, Stadtplaner, Journalisten in vorauseilender Neugier auf der „Route der Wohnkultur“ – Rundfahrten zu den Häusern und Siedlungen gibt es schon, Zutritt ins Innere und Gespräche mit Bewohnern aber erst von August an bis Ende Oktober. Die Route der Wohnkultur, man ahnt es schon, gehört zum Programm der Kulturhauptstadt, und ihr Name flirtet mit der großen Route, der der Industriekultur. 58 Orte im Ruhrgebiet, die exemplarisch zeigen sollen, wie das Ruhrgebiet wohnt. Sehr, sehr unterschiedlich halt. Hereinspaziert!
Ein Teil des Ruhrgebiets wohnt also wie der 57-jährige Holger Rietz. Fürst-Hardenberg-Siedlung in Dortmund, 400 Wohnungen, Zechensiedlung, Gartenstadt, saniert – nur schön! Der Stein gewordene Kontrapunkt zu den Mietskasernen der nahen Nordstadt. „Jeder kennt hier jeden, wie’n Dorf“, sagt Rietz. Oder: „Das sind noch fast alles Bergleute, sind natürlich auch schon welche weggestorben jetzt.“ Fürst Hardenberg ist eine Mustersiedlung, die Mieter sind organisiert; ach ja, und das Bullenkloster heißt jetzt Nachbarschaftshaus. Weiter geht’s in der Besuchergruppe; einer hat, während alle anderen unten waren, bei einem entschlossenen Vorstoß unter Rietz’ Dach eine Modelleisenbahn entdeckt: „Da kam man kaum noch hin!“
„Strittige und ehrliche Komposition“
Karl-Heinz Petzinka, einer der künstlerischen Direktoren der Kulturhauptstadt, nennt die Route „eine strittige und ehrliche Komposition“, da sie nicht nur das Schöne zeige; und Petzinka glaubt auch, dass sie „bleiben wird nach 2010“. Die Spekulation ist einfach, in fremder Leute Wohnungen guckt man ja immer gern; erste Erfahrungen zeigen aber tatsächlich, dass die Route zieht. „Die Nachfrage ist sehr groß“, sagt Monika Goerke von „Dortmund Tourismus“: „Das Publikum ist deutlich jünger als auf normalen Stadtrundfahrten, vielleicht um die 35 Jahre, und es kommt aus dem ganzen Bundesgebiet.“
Mehr Ruhrgebiet wohnt wie in der Hustadt. Geschoss-Wohnungsbau, oder auch: eine dieser ungeliebten Großsiedlungen aus den 60er-Jahren. 1200 Wohnungen, Bochum, Nähe Ruhr-Universität. Aber Uta Schütte-Haermeyer würde sie immer verteidigen: „Im sozialen Wohnungsbau wurde später nie mehr dieser Standard erreicht.“ Große Räume, Balkone, belüftete Bäder, aber der große Nachteil: viel Beton, und alle wohnen gleich. Schütte-Haermeyer ist hier zuständig für den Umbau, der ruckend vorangeht: Denn viele der heutigen Bewohner gehören zu Flüchtlingsfamilien, und „partizipativer Quartiersumbau“ ist dann doch eher nicht ihre größte Sorge. Eine strittige und ehrliche Konstruktion . . .
Der Stadtplaner Harry Lausch (52) hat schon seine Diplomarbeit über „Brachflächen und Trampelpfade in der Stadt“ geschrieben; da war es wohl nur folgerichtig, dass er auf einer Dortmunder Brache ein Restgrundstück kaufte, bestehend aus Birken und Müll. Heute stehen hier drei Architektenhäuser nebeneinander, drei Häuser, drei Stile, eines bunter als das andere, doch es passt. Das mittlere zum Beispiel gehört der Fotografin Cornelia Suhan, und so ist es kein Zufall, dass die Form des Hauses angelehnt ist an den Körper einer Leica M-6 – nur deutlich größer, versteht sich. Auch sie wird im Sommer Besucher einlassen; „etwas besonders, aber ganz unprätentiös“, so beschreibt die Fotografin ihr Haus.
Die Besuchergruppe von heute fährt weiter. Was bleibt? „Cooles Bad!“