Bayreuth. .

Mit einem Sturm an Buh- und Bravorufen sind am Sonntag die 99. Bayreuther Festspiele eröffnet worden. Wie Bayreuth tickt, weiß der große Wagner-Tenor René Kollo aus jahrelanger Erfahrung. Ein Gespräch.

Er zählt zu den bedeutenden Wagner-Tenören der Nachkriegszeit. In Bayreuth hat René Kollo von „Siegfried” bis „Tristan” alle großen Partien gesungen. Treu ist er den Festspielen bis heute. Lars von der Gönna sprach mit Kollo über den Mythos, Wolfgang Wagner und den Politikerauflauf am Premierentag.

Sie kennen Bayreuth sehr gut. Was ist das für ein Ort?

Ich kann das nur für mich sagen: Ich war Wagner schon verfallen, als ich noch nicht im Traum daran gedacht habe, in Bayreuth aufzutreten. Da singen zu können – ganz im Ernst: Das war für mich eine heilige Handlung.

Bayreuth ist ein Mythos, so geliebt wie umstritten.

Ein BBC-Reporter hat Bayreuth und Wagner kürzlich „fundamental” genannt. Das ist es, trotz aller Bilder von Hitler und den Tiefen, die Bayreuth eben auch verzeichnet. Engländer haben Shakespeare, wir haben Wagner: Weltkultur! Für mich ist das gar keine Frage. Umso wichtiger ist, dass es weitergeht.

Sie kannten Wolfgang Wagner gut.

Er hat mir überhaupt die Chance gegeben, dort zu singen. Kein einfacher Kerl, bestimmt nicht. Sehr empfindlich und nicht unbedingt treu, wenn Sänger noch was anderes kannten als Bayreuth. Und dann das Verhältnis zum Bruder, dem großen Regisseur. Fragen Sie sich doch mal, warum heute kein einziger Film der Wieland’schen Inszenierungen vorhanden ist. Es war ja geradezu eine Hassgeschichte, die Wolfgang mit Wieland verband. Leider.

Bis heute ist man Bayreuther Festspiel-Chef, weil man mit Nachnamen Wagner heißt, Sehen Sie da ein Problem?

Klar ist das ein Problem. Aber flapsig gesagt: Solange die Wagner’sche Nase noch da ist, geht’s. Weil es ja doch ein Ausdruck der Tradition ist. Aber natürlich gibt es diese Ambivalenz: Man möchte, dass es ein Wagner ist, andererseits muss so ein Haus exzellent geführt sein. Und was hilft es, wenn es ein Wagner ist, der Wagner gar nicht liebt? Damit meine ich ausdrücklich nicht die beiden Damen. Es ist viel zu früh, um ihre Leistung zu beurteilen.

Wird Bayreuth bleiben?

Ich rede jetzt nicht vom Geld, obwohl Bayreuth finanziell in der Klemme steckt. Aber die Oper kann überhaupt nur bleiben, wenn wir zu brisantem Theater zurückfinden und nicht zu optischem Schnickschnack. Wenn wir die Leute nicht mehr packen, hat diese Kunst verspielt.

Ein bisschen verliebt sollte man in diese Sprache schon sein


Was muss man für Wagner vor allem können – außer singen?

Also, ein bisschen verliebt sein in diese Sprache sollte man schon. Das sind ja keine dummen Texte, wie manche sie darstellen, das ist große Dichtung. Wenn man das als Sänger nicht begreift, kann man im Grunde nichts ausdrücken. Es gibt schöne Stimmen, bei denen ich denke: Um Gottes Willen, der hat ja nichts begriffen. Da gehe ich in der Pause schon mal nach Haus.

Jedes Jahr werden die Klagen lauter, Bayreuth habe ein „Sänger-Problem”.

Die ganze Welt hat eins. Gute Wagner-Tenöre stehen ja nicht auf der Straße rum. Sie brauchen 15 bis 20 Jahre Aufbau und erfahrene Mentoren! Als ich in Düsseldorf engagiert wurde, habe ich dem Intendanten Grischa Barfuß gesagt, was ich singen wolle. Da hat er einen Cognac aus dem Schrank geholt, mit mir angestoßen und gesagt: Das ist ja alles sehr schön, aber viel zu früh für Sie.” Klar, war ich nicht begeistert, aber er hatte vollkommen recht. Heute geht ein Sänger einfach ein Haus weiter und singt die Rolle dort – ob es seiner Stimme gut tut oder nicht.

Ist das Bayreuther Publikum speziell?

Ach, ich will nichts Negatives sagen, aber in Bayreuth gibt es diesen Moment „Wir habe so lange stillgehalten, wir müssen als Publikum am Ende explodieren, sonst zeigen wir nicht genug Interesse.” Leider explodiert man dann auch bei gar nicht so tollen Leistungen. Das ist sehr bayreuthisch.

Ist der Politiker-Auflauf auch sehr bayreuthisch?

Es ist immer mehr in Mode gekommen, dass Politiker sich bei öffentlichen Dingen feiern lassen – ob Fußball oder Lohengrin. Mir gefällt das nicht besonders. Aber wenn sie schon nach Bayreuth fahren, sollten sie auch was für die Festspiele tun.