Essen.

. Vor vier Jahren erhielt Folkwang-Chef Hartwig Fischer die Zusage von 55 Millionen der Krupp-Stiftung für den kompletten Neubau des Museums. Nun ist das „Wunder von Essen“ fertig gestellt - und alle Beteiligten sind mehr als zufrieden.

Zweieinhalb Jahre ist es her, dass wir darüber berichteten, wie Museum Folkwang und Ruhr(land)museum ihre Wohngemeinschaft in der Essener Goethestraße aufgaben, in aller Freundschaft, um sich künftighin solo zu verwirklichen. Da waren die neuen Wohnungen längst nicht bezugsreif. Jetzt sind die Einweihungspartys verrauscht – und man kann feststellen: Alle, wirklich fast alle, sind glücklich in und mit den neuen Museen. Besonders die beiden, monatelang gleichsam obdachlos gewesenen, Direktoren.

Folkwang-Chef Hartwig Fischer etwa strahlt jetzt, wenn das denn möglich ist, noch mehr euphorische Zufriedenheit aus als in den Monaten seit Sommer 2006, als ihn in London ein Anruf ereilte; zur Eröffnung erinnerte er noch einmal genießerisch daran: Es war Berthold Beitz, den er an jenem 23. August 2006 am Telefon hatte. Beitz lud zu einem Termin in Essen am folgenden Tag: „Das könnte für Sie von Interesse sein“, hat er nach Fischers Erinnerung gesagt. Das war dann allerdings ein Understatement von britischem Format, denn anderntags verkündete Berthold Beitz erst dem verblüfften Museumsmann und dann der Presse, dass seine Krupp-Stiftung der Stadt 55 Millionen Euro für einen kompletten Neubau des Folkwang-Museums schenken werde.

Das Wunder von Essen

„Das Wunder von Essen“, sagte Fischer, als dieser Neubau nur dreieinhalb Jahre später eröffnet wurde. In der Tat war es schlicht wunderbar, dass Berthold Beitz nach einsamer Entscheidung seine Krupp-Stiftung dazu bewog, der Stadt nicht bloß bei einer mittelmäßigen Lösung der Raumprobleme unter die Arme zu greifen, sondern genug Geld bereitzustellen für einen großen Wurf, den sich Essen sonst nie und nimmer hätte leisten können. Beitz handelte im unerschütterlichen Glauben, dass Alfried Krupp es so hätte haben wollen. So wenig der Krupp-Patriarch Beitz dazu einlädt, in seinen Gefühlen zu lesen, darf man doch annehmen, dass der 96-Jährige glücklich verfolgte, wie selig alle beim „Auspacken“ seines Geschenks waren. Er selbst fasste die Situation ähnlich lakonisch in Worte wie damals bei seinem denkwürdigen Anruf: „Es ist gut geworden.“

Statt Kohle wird nun Publikum in die Wäsche eingefüllt und gelangt über die orangene Treppe abwärts.
Statt Kohle wird nun Publikum in die Wäsche eingefüllt und gelangt über die orangene Treppe abwärts. © Unbekannt | Unbekannt





Dass es so gut geworden ist, hängt mit dem zweiten wunderbaren Aspekt dieser Folkwang-Geschichte zusammen: Dass die Jury sich auf einen Entwurf einigte, der nicht exzentrisch und skulptural auftrumpfte, sondern der Sammlung und der örtlichen Situation auf grandiose Weise angemessen war und jetzt allenthalben höchstes, begeistertes Lob erfuhr, selbst von den nörgeligsten Beobachtern in den Feuilletons. Dass bei der Eröffnung viele Leute David Chipperfield zu Füßen gelegen hätten, lässt sich nur deshalb nicht behaupten, weil das Auftreten dieses so unprätentiösen „Stararchitekten“ solche Anwandlungen im Keim ersticken würde. Aber man hing doch hingerissen an seinen Lippen, wenn er, über seine Lesebrille hinwegblickend, in ruhigen Sätzen seinen Entwurf noch einmal erläuterte.

Dass der Folkwang-Auftrag, schon wegen der bedeutenden Kunstsammlung, etwas ganz Besonderes für ihn war, hat Chipperfield immer wieder betont. Nun nannte er einen weiteren Grund, „der uns zur Vorsicht mahnte“: Ohne den vielgeschmähten Vorgängerbau von 1983 selbst zu kritisieren, erinnerte Chipperfield daran, dass jenes Haus schon 24 Jahre später wieder abgerissen wurde. Da hätten er und sein Team gedacht: „Wenn wir hier nicht gute Arbeit abliefern, reißen die unser Gebäude womöglich auch gleich wieder ab“. Den ernsten Hintergrund für diesen Scherz lieferte Chipperfield gleich nach: Es sei da nicht in erster Linie um architektonische Stilfragen gegangen, sondern um Grundsätzliches: „Der Bezug des Gebäudes zur Stadt musste gestärkt werden.“ Um die Öffentlichkeit des Hauses zu garantieren, habe er, trotz aller Bedenken, auf der Hinwendung zur vielbefahrenen Hauptstraße bestanden – und ebenso darauf, dass alle öffentlichen Räume auf einer Ebene zu sein hätten: „Keine Rampen, keine Treppen.“

Neugierig werden die Stücke bestaunt.
Neugierig werden die Stücke bestaunt. © Unbekannt | Unbekannt





Dass man den neuen Eingangsbereich nun mit der postalischen Adresse „Museumsplatz“ versehen hat, ist entschieden übertrieben, zumal die höchst sinnvolle Fußgängerbrücke nun leider in die falsche Richtung geschwungen ist und gar nicht richtig auf den Museumseingang hinführt (vielleicht sponsert da noch mal jemand eine kleine Korrektur?). Im Übrigen fühlt man sofort, wie richtig es ist, dass das Museum der Stadt und den Vorbeifahrenden nicht mehr den Rücken zuweist. Durch die leicht erhöhte Anordnung des Eingangs ist es auch keineswegs so, dass man sich von vorbeifahrenden Lastwagen bedrängt oder gestört fühlte.

Déjà-vu mal zwei

Wer das Museum dann schließlich betritt, hat womöglich aus zweierlei Gründen so etwas wie ein „Déjà-vu“. Denn wer schon zuvor, ungeduldig und vorfreudig, um das neue Haus herumgestrichen ist, weiß bereits viel über die Innenräume. Chipperfields Bau ist keines jener oft spektakulären Gehäuse, über deren Inneres man von außen nur rätseln kann. Vielmehr zeigt es so viel von sich und der dort beherbergten Kunst, dass es nur mehr ein kleiner Schritt ist, wenn man dann durch die Tür geht. Ein Prinzip, das Chipperfield am „Altbau“ von 1960 bewundert hatte: dass man Kunstwerke schon von der Straße aus sehen kann. Und damit sind wir beim zweiten „Déjà-vu“: Wer mit diesem Altbau halbwegs vertraut ist, fühlt sich im neuen Haus mit seinen Glaswänden und Innenhöfen an vielen Stellen wie zuhause. Dass David Chipperfield sich so sehr vom Vorhandenen hat inspirieren lassen, dass er das alte Haus so gut integriert hat, ist ein großer Vorzug seines Entwurfs.

Im Innern des Gebäudes, so Chipperfield, sollte beides möglich sein: sich leicht zu orientieren – und sich gleichwohl beim Betrachten der Kunst auch darin zu verlieren. Beides ist in der Tat möglich. Man kann sich vorübergehend verlieren, aber man wird kaum je in diesem Haus herumirren. Nicht zuletzt auch wegen seiner Transparenz, die nicht nur von außen her wirkt, sondern auch von innen: Man nimmt die Umgebung des Hauses wahr und recht bald merkt man, ob man sich etwa gerade in Richtung Bismarckstraße und Haupteingang bewegt oder zum Wohnviertel auf der anderen Seite.

Das schönste Museum der Welt

Werke moderner Kunst seit 1945 aus der ständigen Sammlung teilen sich das neue Gebäude mit Wechselaustellungen der grafischen Sammlung, der fotografischen Sammlung und des Deutschen Plakatmuseums, das viele Jahre ohne Heimat war und nun erstmals ins Museum Folkwang integriert wird. Renoirs „Lise mit dem Sonnenschirm“ muss sich noch eine Weile gedulden. Zusammen mit den anderen „Klassikern“ des 19. und 20. Jahrhunderts, mit den Cézanne, van Gogh, Monet, Kirchner und Nolde wird sie im April den noch einmal renovierten „Altbau“ bevölkern. Der Eröffnung im Mai sehen viele Folkwang-Freunde wiederum ungeduldig entgegen.

Was Alfred Krupp von seiner neuen Umgebung hält, ist schwer zu sagen. Die garantiert feuerfesten Betonwände müssten ihm aber gefallen.
Was Alfred Krupp von seiner neuen Umgebung hält, ist schwer zu sagen. Die garantiert feuerfesten Betonwände müssten ihm aber gefallen. © Unbekannt | Unbekannt





Bei seiner ersten großen Schau im neuen Saal für Wechselausstellungen macht sich das Museum Folkwang selbst zum Thema und lässt, soweit das noch möglich ist, seine große Zeit bis 1933 wiedererstehen; mit zahlreichen Leih- gaben wird die damalige Sammlung in Teilen rekonstruiert. Der Titel dieser Ausstellung – „Das schönste Museum der Welt“ – ist ein Zitat: Paul J. Sachs, der Mitbegründer des Museum of Modern Art in New York, hat das Wort 1932 bei einem Besuch in Essen geprägt – kurz bevor die Nazis dieser ersten Blütezeit ein Ende setzten. Diese Worte werden nun, nach der Neueröffnung, spielerisch immer wieder ins Gespräch gebracht. Nun ja: Eines der schönsten ist es ganz gewiss.

Am ersten Öffnungstag ging eine Frau zum Abschluss an der nördlichen Außenfassade des Neubaus entlang und strich über ein Element der Glasfassade – sicher, um deren Struktur zu erfassen. Doch ihr Mann sah noch mehr darin: „Streicheleinheiten fürs neue Museum“, meinte er lächelnd.

Schon nach einem Monat wurde der 50.000 Besucher registriert

Ganz anders geht es in der neuen Wohnung des Ruhrmuseums zu. Von Transparenz kann bei dem Gebäude keine Rede sein, und an Streicheleinheiten für die raue Schale der Zollverein-Kohlenwäsche hat vermutlich auch niemand gedacht. Dennoch haben die Menschen das neue Museum eindrucksvoll an die Brust gedrückt: Schon nach einem Monat wurde der 50.000ste Besucher registriert. Museumsdirektor Ulrich Borsdorf, der ohnehin nicht minder euphorisch war als sein Kollege im Folkwang, mag angesichts der Zahl noch ein bisschen fröhlicher geworden sein. Er hatte die jährliche Besucherzahl vorsichtig auf 150.000 geschätzt.

Man sieht sich um: die ersten Besucher treffen auf bekannte Werke im neuen Haus.
Man sieht sich um: die ersten Besucher treffen auf bekannte Werke im neuen Haus. © Unbekannt | Unbekannt





„Dass ich das noch erleben darf!“, sagte NRW-Kulturstaatssekretär Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff zur Eröffnung des Ruhrmuseums. Er erinnerte daran, dass es lange Zeit gar nicht gut ausgesehen habe für die Vision Ulrich Borsdorfs und des IBA-Machers Karl Ganser, und der Staatssekretär schien durchaus stolz darauf zu sein, dass er für die Landesregierung mit Stadt, Landschaftsverband Rheinland und Bund an der Lösung der Finanzierungsfragen mitgearbeitet habe. Man sieht jedenfalls: Diesem Museum wird nicht nur lokale oder regionale Bedeutung beigemessen.

Wie das gewandelte Ruhrmuseum nach dem Umzug aussehen würde, das war vorweg sehr schwer vorzustellen. Schließlich ist die Kohlenwäsche mit ihren Innereien ein sehr dominanter Faktor, ein schwieriges Gebäude. Ach was, nicht einmal ein Gebäude, meinte Ulrich Borsdorf bei der Eröffnung, sondern eine Maschine, in die man oben Rohkohle einfüllte, auf dass unten gesiebte und verkaufsgerecht klassifizierte Kohle herauskomme. Und als Maschine habe dieses Ding ja nicht einmal einen Eingang gehabt. Den habe man dann oben eingerichtet, mit Hilfe der schon wohlbekannten orangefarbenen Rolltreppe, um so das alte Prinzip der Wäsche beizubehalten. Nur dass nicht mehr Kohle oben eingefüllt wird, sondern das Publikum – auf dass es beim Weg nach unten durch Lerneffekte und Erkenntnisse „raffiniert“ werde.

Zwischen Fußballpokalen und liturgischen Geräten aus stillgelegten Kirchen

Und so geht das jetzt: Mit der Rolltreppe fährt man zur 24-Meter-Ebene hoch und kauft sich ein Ticket. Über das orangefarbene Treppenhaus, ebenfalls längst eine Zollverein-Ikone, wird man dann ins eigentliche Museum auf der 17-Meter-Ebene eingefüllt. Große und schwere Exponate wären dort nicht unterzubringen gewesen, deshalb beginnt die Schau mit einem Blick auf das heutige Ruhrgebiet und seine Facetten – zunächst vorwiegend mit Fotografien aus der Sammlung des Museums, aber auch mit Klängen, mit Videos und mit Gegenständen: Fußballpokalen in einer Vitrine stehen liturgische Geräte aus stillgelegten Kirchen gegenüber.

Hinter einer gläsernen Wand mit eingeschlossenen grünen Blättern aus Parks und Wäldern der Region beginnt die Welt der „Erinnerungen“; in Vitrinen finden sich Fossilien, die von der Formung der Landschaft erzählen, eine konservierte Steinstaublunge, die Feldjacke von „Horst Schimanski“ und Wasser, das eine Frau im April 1945, mitten im letzten Bombenchaos, für ihr Baby eingeweckt hat. Mittendrin eine Baumscheibe von jener Rotbuche, die bis 2002 beim Folkwang Museum gestanden hat. Auch sie erinnert an Geschichtliches, wie Ulrich Borsdorf erläutert: An ihren Jahresringen kann man, zum Beispiel, ablesen, dass es ihr 1923 besonders gut ging: weil Franzosen und Belgier das Ruhrgebiet besetzt hielten und die Industrie nur mehr auf Sparflamme lief.

Keine Angst, der tut nichts. Der will doch noch nicht mal mehr spielen. Gucken ist erlaubt.
Keine Angst, der tut nichts. Der will doch noch nicht mal mehr spielen. Gucken ist erlaubt. © Unbekannt | Unbekannt





Auf der 12-Meter-Ebene wird der Besucher durch jene Zeit geführt, die der Industrialisierung voranging – von der Steinzeit übers Mittelalter in die Neuzeit. Auf der letzten Ebene, 6 Meter, spielt sich das Drama der Industrialisierung ab, von den Anfängen an der Ruhr bis in die Gegenwart der Kulturhauptstadt. Viele Exponate kennt man aus dem alten Ruhrlandmuseum, und doch ist alles ganz anders. Wo die alte Ausstellung zur Geschichte der Industriegesellschaft so etwas wie eine nostalgische Gemütlichkeit aufkommen ließ, herrscht jetzt eine etwas nüchternere, intellektuellere Atmosphäre. Die Kohlenwäsche mit ihren Einbauten ist immer als stärkstes Exponat gegenwärtig, wobei an einzelnen Stellen die Grenzen verschwimmen. So auf der untersten Ebene, wo man zunächst einen defekten und korrodierten Ventilator zu entdecken glaubt – und schließlich feststellt, dass es sich um den Propeller eines abgeschossenen amerikanischen Bombers handelt, gefunden vor wenigen Jahren bei Bauarbeiten in Essen.

Kabinette für die hochkarätigen Stücke aus dem Orient, aus Griechenland und Rom

Als ganz besonders gelungen sei hier die Unterbringung von Exponaten der archäologischen Sammlung erwähnt: hochkarätige Stücke aus dem Orient, Griechenland, Etrurien und Rom, die mit dem Ruhrgebiet nichts zu tun haben, aber zum Grundbestand des Museums gehören. Sie sind in eigenen Kabinetten hinter Glas so geschickt an den Betonstrukturen der Kohlenwäsche angebracht, dass sie auf ganz ungewöhnliche Weise lebendig zu werden scheinen. Auch viele bedeutende Exponate aus dem Mittelalter gewinnen durch den Kontrast zu den dunklen Betonwänden – wie schon bei der Ausstellung „Gold vor Schwarz“. Schließlich haben es die Museumsleute sogar geschafft, den naturkundlichen Teil nicht so muffig-verstaubt aussehen zu lassen, wie man es gewohnt ist: Nirgends sonst sind ausgestopfte Vögel, Reptilien und Säugetiere so präsentiert wie hier, hinter kristallklarem Glas in dem technischen Habitat der Kohlenwäsche.

Nicht nur ist die Schau des Museums angewachsen gegenüber früher. Durch die neue Präsentation möchte man auch weniger Dinge als früher übergehen. Wer sich besonders für die Geschichte der Industrialisierung interessiert, kann dennoch kaum an den wunderschön präsentierten archäologischen Schätzen vorbeigehen oder an den ausgestopften Wölfen. Man wird also so schnell nicht wieder herauskommen aus dieser Museumsmaschine. Oder man gönnt sich, was bei der Kohle zu aufwendig gewesen wäre, einen zweiten Durchgang. Füllt sich einfach oben noch mal ein und lässt sich aufs Neue „raffinieren“, mit anderem Schwerpunkt. Wir vermuten: Es geht auch noch öfter. Nur nicht an einem Tag.

Erschienen in: RuhrRevue, Ausgabe 2/10