Oberhausen. .

Nach 20 Jahren riskierten die Oberhausener einen Blick in ihre Depots und stellen nun erstaunliche Kunstwerke aus: ein konzentriertes Durcheinander von kuriosen bis erstaunlich hochkarätigen Kellerkindern.

Man kann ja über die Kulturhauptstadt 2010 meckern, wie man will. Aber sie hat schon in vielen Schlössern Dornröschen aus dem Tiefschlaf geküsst. So trägt das Projekt RuhrKunstmuseen erfreulich saftige Früchte. Nicht nur Spektakel inszenieren wollte man, sondern vorhandene Perlen polieren und auf eine Kette ziehen. Was nicht die schlechteste Idee ist in Zeiten leerer Kassen und voller Keller. Im Museum Alte Post zu Mülheim ist unlängst eine sehenswerte Schau aus eigenen Beständen zustande gekommen, und in Oberhausen zeigt die Ludwiggalerie: Es gab ein Kunstleben vor dem Glücksfall Ludwig, und was die neue Hausherrin Christine Vogt da ans Tageslicht brachte, entpuppt sich als Wundertüte: Das Wunder von O.

Geschmack statt Konzept

Es mindert das Staunen nicht, wenn man weiß, dass Dr. Vogt ihre Magisterarbeit über das Thema Sammlungen geschrieben hat. Sie hat eine Schwäche für Detektivarbeit und einen wachen Sinn für das Heterogene und die magischen Punkte, an denen sich Menschengeschichten mit Kunstgeschichte kreuzen. Als sie die Depots in Augenschein nahm, lag die letzte Hausschau schon 20 Jahre zurück, selbst der Kulturdezernent kannte „die Dinger ja nur eingelagert”. Frau Vogt muss sich gefühlt haben wie Howard Carter im Tal der Könige.

Da fand sie jede Menge Belege für die These, dass man in Oberhausen zwar lange ohne erkennbares Konzept gesammelt hat, aber durchaus mit Instinkt und Geschmack. Davon kündet jetzt die Ausstellung, die sich als konzentriertes Durcheinander von kuriosen bis erstaunlich hochkarätigen Kellerkindern darstellt: eine Wundertüte, wie gesagt. Da entdecken wir - nicht selten mit Wunden, die das Licht und der Zahn der Zeit dem Papier oder Rahmen schlugen - feine bis feinste Grafiken von der wie hingehauchten Degas-Tänzerin von 1892 über satte exotische Blumen von Manet (1868) bis zu einer suggestiven Komposition des früh-informellen Wols’ aus der Nachkriegszeit. Da es keine große bürgerliche Sammler- und Stiftertradition am Ort gab, haben Museumsdirektoren und Oberhausener Kunstverein immer wieder eingegriffen und den Bürgern der Stadt Kostbarkeiten der Klassischen Moderne gesichert; darunter so unterschiedliche Trouvaillen wie die „nächtliche Erscheinung” von Otto Dix und der „Rückenakt mit fliegenden Früchten” von Brus von 1976. Picasso und betuliche Stadtansichten, konventionelle Radierungen und avantgardistische Aquatinta.

Den Übergang von der Grafik zur Malerei und Skulpturenkunst überwacht ein enormes Selbstporträt von Otto Pankok. Der Meister aus Mülheim hat für den Riesenholzschnitt 1958 seine Ateliertür zweckentfremdet: eine Wucht! Hier geht das Wundern weiter: Da entdecken wir eine Holzbüste des Heiligen Johannes, den die Kunsthistorikerin Vogt für einen heiligen Sebastian hält. Und der thront wie selbstverständlich neben einem Op-Art-Gemälde von 1973. Ein knallbunter Garruda-Vogel aus Indonesien bewacht derweil ein Jugendstilgemälde: Franz von Stuck hat schlechtere Bilder gemalt als „Die Pest” im Jahr 1913.

Ursula und der Macher

Keine zwei Meter weiter sehen wir am Schaukasten „Public Enemy”, welch künstlersche Suggestiv-Kraft HA Schult besaß, lange bevor er zum „Macher” wurde und global Müllarmeen befehligte. Dass mit „Mutter und Tochter” von 1965 auch der heute unbezahlbare Gerhard Richter Superstar vertreten ist, hätte man sich denken können; und der Lippenstift-Bomber von Wolf Vostell von 1968 könnte gut auf dem Weg zum Hindukusch sein.

Ein Bild von Arno Rinke kündet davon, dass einst nicht nur die Ludwigs sich für die Kunst in der DDR interessierten. Ein wenig erstaunt es schon, dass die uralte Heilige Ursula hier und nicht im Schnütgen-Museum anzutreffen ist, wo sie gewiss nicht neben einer aus der volkskunst-orientierten Sammlung von Kasimir Hagen stammenden Wasserkuh aus Asien zu liegen gekommen wäre.

Mehr als eine Fortsetzung der Oberhausener Perlenpolitur wird es wohl nicht geben. dafür ist der Fundus nach Einschätzung von Christine Vogt, denn doch zu dünn. Sie will die Nische weiter pflegen, die bisher - u.a. mit Deix und König - die größten Cartoonisten und Comic-Künstler präsentierte. Freuen wir uns also auf das zweite Wunder von O. - und Walter Moers.