Essen.

Peter Wawerzinek ist neuer Träger des Ingeborg Bachmann-Preises. Der in Rostock geborene Schriftstleller wurde für seinen Roman „Rabenliebe“ ausgezeichnet. Er wuchs als Waise in einem Kinderheim der DDR auf.

Der 1954 in Rostock geborene Peter Wawerzinek war zwei Jahre alt, als seine Mutter in die BRD flüchtete, ohne ihn. Als Waise wächst er in einem Kinderheim und bei Adoptiveltern an der Ostsee auf, er lernt: „Formeln des Dankes sagen“, „auf Kommando einschlafen“. Jahrzehnte später gelingt es ihm, dem „Winterkind“, das Erlebte, die Sehnsucht, die Erstarrung, in Worte zu fassen: „Ich kenne keine andere Jahreszeit als den Winter.“ Für einen Auszug aus seinem Roman „Rabenliebe“, der im August erscheint, erhielt Wawerzinek den Ingeborg-Bachmann-Preis und den Publikumspreis des Klagenfurter „Bewerbs“.

Bereits nach seiner Lesung am dritten Tag des Wettlesens zeichnete sich ab, dass – wie auch beim Deutschen Buchpreis für Kathrin Schmidt oder sogar beim Nobelpreis für Herta Müller – eine autobiografisch erlittene Literatur den Nerv einer Jury verlässlich zu treffen vermag (und diese also auch nur aus Menschen besteht). Zu Tränen gerührt hielt Jurorin Meike Feßmann, die Wawerzinek zum Wettbewerb vorgeschlagen hatte, die Laudatio. Sie nannte die Literatur einen „Lebensretter“: Das einst schmächtige Kind sei in Sprache eingewoben gewesen wie in „einen schützenden Kokon“. Dass sein Text harte Wechsel zwischen romantisierenden und spröden Elementen (etwa Zeitungsmeldungen über misshandelte Kinder) aufweist, hatte die Jury zwar kritisch bemerkt. Der Autor selbst hatte sich dazu zu Wort gemeldet: „Wenn ich mal was sagen darf: Es war nicht einfach, das zu schreiben, mich der eigenen Biographie zu nähern und ich habe Jahrzehnte dafür gebraucht“.

Drei weitere Preise

Drei weitere Preise vergab die Jury: Die „originelle“ und „frische“ Schweizer Autorin Dorothee Elmiger erhielt den Kelag-Preis für eine sprachspielerische Phantasiereise. Die deutsche Judith Zander durfte sich über den 3Sat-Preis freuen: Sie hatte einen Auszug ihres im August erscheinenden Romans „Dinge, die wir heute sagten“ gelesen – auch hier waren Erstarrungen in der ehemalige DDR das Thema. Der Ernst-Willner-Preis ging an Aleks Scholz, dessen ungewöhnlicher Beitrag „Google Earth“ in Drauf-Sicht erzählt war: eine Geschichte über Nachbarn, eine Hecke, ein selbstgeschaufeltes Grab.

Lauwarme Jury-Diskussion

.Die Diskussion über diese Perspektive hatte der oftmals eher lauwarmen Jury-Diskussion sommerliche Hitze verliehen: Während der Vorsitzende Burkhard Spinnen dem Text „Herzlosigkeit“ vorwarf („Die Figuren sind zugerichtet von Anfang an“), verteidigte Hubert Winkels, der in diesem Jahr erstmals mitdiskutierte, „seinen“ Autor: „Wenn es so wäre, dass er eine neue Erzählperspektive erfunden hätte, dann hätte er nicht nur den Bachmann- sondern auch noch den Büchner- und den Nobelpreis verdient!“.

Doch, wer Geduld hatte, bekam auch diesmal Literaten-Bashing in Häppchen zugeworfen. „Zu brav“, „eine Geschichte fürs Jugendbuch“, „falsche Bilder“, „mangelnde Sensibilität“, „ein Text ohne jede Eigenheit“, „eine einzige Nebelwerferei“, „überorches­triert“ – wie viel davon kann der literarische Nachwuchs eigentlich ertragen?

Unter Vuvuzela-Getön

Nur gute sechs Minuten dauerte die Diskussion über die Düsseldorferin Iris Schmidt. Ihr Text „Schnee“ schilderte Unheimliches in einem einsamen Waldhotel, „Stephen King für Arme“ nannte das Hubert Winkels. Burkhard Spinnen meinte, der Text sei „sehr ungelenk und unbeholfen“ und schildere etwas nicht sehr Wichtiges. Den Text der Österreicherin Verena Rossbacher, ein Auszug ihres Romans „schlachten“, verglich Meike Feßmann mit einer Vuvuzela, die unaufhörlich trötete: „Ich bin Kunst, ich bin Kunst, ich bin Kunst.“

Immerhin konnten die Autoren froh sein, dass nicht die Phantasien der Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff wahr wurden: Was wäre, wenn man Literaturwettbewerbsverlierern nicht nur „an die Seele“, sondern „ans Leder“ wolle – und sie erwürgen würde? Mit dieser Vision wollte die Klagenfurt-Gewinnerin von 1998 in der traditionellen „Rede zur Literatur“ den Kandidaten zu Beginn des Wettlesens wohl deutlich machen, dass ihr Schicksal schlimmer sein könnte. Was ja (meistens) stimmt.