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Richard Yates, der Wiederentdeckte, seziert im halb-biografischen Roman von 1975 den Terror des amerikanischen Traums. Vielleicht brauchen wir in Zeiten des „Yes, we can!” auch sein ebenso entschlossenes, grimmiges „Yes, we cannot!”

„Im Spätsommer 1960 begann für Janice Wilder alles schiefzugehen” – natürlich, so musste ein erster Satz lauten, wenn der großartige, vergessene, verstorbene, wiederentdeckte Richard Yates ihn schrieb!

Janice und John Wilder leben in einer Einfamilienreihen-Heimeligkeit inklusive Sohn und Wochenendhäuschen; John finanziert als Anzeigenberater dieses Leben, aber ist es noch sein Leben? Er spürt ja bereits den Kern des Scheiterns in sich, ein Scheitern, das zu tun hat mit Whisky und Antidepressiva und damit, dass Yates Helden eben einfach scheitern müssen. John wird eingeliefert in die Psychiatrie, ein eindringliches Kapitel lang fliegen wir mit ihm übers Kuckucksnest, dann scheinen die Zeiten des ganz großen Aufruhrs vorbei.

Wilder beginnt eine Affäre und erzählt seiner Frau, er träfe abends die „Anonymen Alkoholiker”; gemeinsam mit seiner Geliebten Pamela und ein paar jungen Leute verfilmt er seine Psychiatriegeschichte – am Set aber hat er einen zweiten Anfall. Psychologen, Psychiater und Packungsbeilagen bevölkern von da an diesen literarischen Mikrokosmos eines Vereinzelten. Und wir schlucken und kauen an Bitterem herum.

Richard Yates war zeitlebens Chronist der amerikanischen Mittelschicht; Wilder ist ihr trauriger, in sich verkapselter Stellvertreter: „Es hatte immer einen Mittelweg gegeben, und stets hatte er ihn gewählt.” Der Roman „Ruhestörung” aus den 70er Jahren erzählt so ungeschönt vom Terror des amerikanischen Traumes wie einst, 1961, die „Zeiten des Aufruhrs” – die kurz nach der Jahrtausendwende erst als Buch und dann als Film deutsche Herzen im Wirbelsturm eroberten.

Dass wir Yates gerade jetzt wiederentdecken, hat vielleicht zu tun mit literarischen Strömungen und einer Renaissance des Realismus, kann schon sein. Vielleicht brauchen wir in Zeiten des „Yes, we can!” auch sein ebenso entschlossenes, grimmiges „Yes, we cannot!” – als Gegengewicht oder weil der Absturz aus der Mitte näher scheint denn je oder weil Yates vom Scheitern so ehrlich berichtet. Er starb 1992, mit 66 Jahren, ein alkohol- wie psychisch kranker Mann, Vater dreier Töchter aus zwei zerrütteten Ehen, Ex-Werbetexter, Ex-Redenschreiber und Ex- ... nein: ein großer Schriftsteller blieb er. Und bleibt er.