Bochum.

Beim Musical in Bochum arbeiten viele Menschen schon mehr als 20 Jahre – in der schnelllebigen Musicalbranche mehr als ungewöhnlich. Die WAZ hat die Mitarbeiter mit viel Erfahrung besucht.

Les Misérables standen knapp vier Jahre im Duisburger Theater am Marientor auf der Bühne. Buddy Holly wird, wenn im Juli für ihn der letzte Vorhang fällt, beinahe ein ganzes Jahr lang das Essener Colosseum gerockt haben. Und der kleine Drache Tabaluga brachte es in Oberhausen einst immerhin auf mehr als ein halbes. Trotzdem misst man Laufzeiten von Musicals besser in Monaten, nicht in Jahren. Wer bei einem anheuert, weiß: Es ist nicht für lang.

Es sei denn, er heuert bei einem ganz besonderen Musical an. Einem etwa, das seit 22 Jahren schon läuft. Das heißt: Eigentlich läuft es gar nicht. Es rollt. Denn hier ist die Rede vom Bochumer Starlight Express, dem ersten und im Gegensatz zu vielen, die folgten, noch immer nicht verglühten Stern am Himmel des Broadways an der Ruhr. 30 Mitarbeiter, so stellte das Haus – selbst erstaunt – jetzt fest, beschäftige man schon länger als zwei Dekaden.

Franz Spieckermann, Birgitt Theiss und Freddy Kretschmer gehören dazu. Ihre drei Geschichten sollen hier erzählt werden. Stellvertretend für alle 30. Und eine einzigartige. Die die Bochumer Starlight Express’.

Skate-Crew seit 1988:
Franz Spieckermann

Rollschuhtechniker Franz Spieckermann mit Skate. Foto: Ingo Otto / WAZ FotoPool
Rollschuhtechniker Franz Spieckermann mit Skate. Foto: Ingo Otto / WAZ FotoPool © WAZ FotoPool

Franz Spieckermann gesteht: Er hatte das Musical nicht einmal gesehen, als er sich bewarb. Nur ein „mülltonnenblaues“ Werbeplakat. „Menschen, die Lokomotiven spielen? Nicht mein Ding“, erinnert sich der heute 46-Jährige. Und da dachte er wie viele andere auch. Aber im August 1988, zwei Monate nach der Premiere von Andrew Lloyd Webbers Stück in Bochum, suchte der Dortmunder Student auch nur einen Aushilfsjob. „Können Sie singen, tanzen?“, fragte die Managerin der Stella AG. Konnte er nicht. Dafür Dänisch. Als Pförtner wurde Franz Spieckermann eingestellt, wechselte aber bald darauf zur Skate-Crew. (Weil er auch Motorräder reparieren konnte . . .) Wo er – nach kurzen Ausflügen in andere Abteilungen – noch heute steckt. Langweilig ist ihm der Job in den 22 Jahren, die er ihn macht, nie geworden. Im Gegenteil, er sei noch immer mit „Herzblut“ dabei (darum auch Betriebsrat). Tatsächlich berge die Wartung von Rollschuhen täglich neue Herausforderungen. Die jüngste – Extrem-Schweißfüße – meisterte er in dieser Woche. Mit Katzenstreu in den Skates.

Also alles nur toll? Nein, es gab auch mal „einen (!) richtig schrecklichen Arbeitstag“, erinnert sich Spieckermann. Nicht den, als mitten in der Show plötzlich die Sprinkleranlage über der Bühne los sprudelte. Und sie dann stundenlang Teppichböden rausrissen, um den Holzboden darunter zu trocknen. Nein, es war zwei Tage danach. Als es erneut passierte.

Franz Spieckermanns Sohn wäre sicher gerne dabei gewesen. Er beneidet seinen Vater um jeden Tag, den der arbeiten gehen darf. Obwohl sich der Skate-Techniker heute nur selten noch selbst die Rollschuhe anschnallt. „Ich bin ein Genussmensch“, sagt Franz Spieckermann. „Ich lese gern, ich koche gern, ich esse gern. Und ich lebe gern!“

Tontechniker seit 1989:
Birgitt Theiss

Birgitt Theiss zog natürlich nicht um. Der Weg von Wuppertal bis Bochum, der nervte zwar. „Aber ich

Tontechnikerin Birgitt Theiss an einem Mischpult.
Tontechnikerin Birgitt Theiss an einem Mischpult. © WAZ FotoPool

dachte ja, das ist nur für ein, zwei Jahre.“ Im Januar 1989 dachte sie das. Seit 21 Jahren ist die gelernte Krankenschwester, „die schon immer lieber Musik machte“, inzwischen bei StEx, als Tontechnikerin. Sie sitzt am Mischpult, sang im Chor, ist auch für das Orchester im Keller zuständig. Fans kennen sie vom Tag der Offenen Tür. Da tritt sie oft auf mit der hausinternen Band. Und die Stimme der Mutter in der Anfangssequenz des Musicals, das ist auch ihre. Nur ein einziges Mal in all den Jahren liebäugelte sie kurz mit dem Gedanken an einen Wechsel – an die Elbe, zum Phantom der Oper. Ein Flirt, aus dem glücklicherweise nichts wurde. Denn: „Einen besseren Beruf als meinen kann ich mir nicht vorstellen“, sagt die 48-Jährige heute. (Außerdem wäre der Weg zur Arbeit in Hamburg ja noch länger gewesen . . .) An ihren ersten Tagen damals bei Starlight, da allerdings wähnte sie sich zunächst „auf einem fremden Planeten“. „Diese Mischung aus Adrenalin, Lautstärke, Geschwindigkeit und Licht, das war echt der Hammer, die totale Reizüberflutung!“, erinnert sie sich. Dazu kamen all die langen Nächte nach der Show. Kein Wochenende ohne Party. Montagmorgens, wenn sie heim kam, gingen die Nachbarn zur Arbeit. „Graue Wirklichkeit“, dachte sie dann. Und: „Wie gut, dass es nicht meine ist.“

Als Stella 2002 pleite ging, und es 14 Tage lang auch für Starlight Express sehr finster aussah, saß sie im Urlaub auf Rügen. Und telefonierte täglich mit den Kollegen. Für die letzte Vorstellung hätte sie die Ferien abgebrochen. Doch die fiel aus, weil der Düsseldorfer Produzent Thomas Kraut das Musical in letzter Sekunde vor dem Aus rettete. (Was er wohl bis heute nicht bereute. Denn mehr als 13 Millionen Menschen sahen StEx in Bochum inzwischen. Weltweit ist kein anderes Musicaltheater erfolgreicher. Seit ein paar Tagen ist dieser Rekord offiziell: als Eintrag im Guinness-Buch.)

Birgitt Theiss arbeitet im Dunkeln. Die im Rampenlicht aber hat sie nie um ihren Applaus beneidet. „Der Zuschauer sieht das Ganze. Und ich bin Teil des Ganzen. Und sehr stolz darauf!“ (Außerdem bekommen die Darsteller auf der Bühne nur Ein-Jahres-Verträge!)

Masseur seit 1989:
Freddy Kretschmer

Freddy Kretschmer ist Physiotherapeut bei Starlight Express.
Freddy Kretschmer ist Physiotherapeut bei Starlight Express. © WAZ FotoPool

Freddy Kretschmer (51) ist der Psychotherapeut von Starlight Express. Jedenfalls stand es so auf seinem ersten Dienstausweis, den der Physiotherapeut 1988 erhielt. „Egal“, sagte er damals. Hauptsache, es hilft. Nun, es (oder besser: er) half tatsächlich. Jedenfalls ist der Masseur durch seine Starlight-Stars heute mindestens so gut ausgelastet wie vor seiner Zeit beim Musical, als er noch für die Sportler des TV Wattenscheid und anderer Profi-Vereine tätig war. „Acht bis zehn Stunden auf Skates, fünf bis sechs Tage die Woche, das ermüdet die Muskulatur schon“, erklärt er seine Beliebtheit. Gerade bei den „Neuen“, die derzeit wieder für ihre Premiere proben. Und deren Beine, besonders die Waden noch mächtig leiden. „Nach der Premiere, im Sommer werden es eher die Arme und Schultern sein. Vielleicht die Nackenwirbel“, prophezeit Kretschmer. Die Kostüme hier bei Starlight sind halt ein wenig schwerer als üblich. Bis zu 25 Kilo nämlich.

Mit schweren Verletzungen hatte es der Physiotherapeut dagegen zu seinem eigenen Erstaunen bislang kaum zu tun. Wenn man mal die des mexikanischen Stuntman außer Acht lässt. „Der landete vor 15 Jahren bei einem Sturz irgendwie seltsam, machte aber weiter, rief mir nur kurz zu ‘I think, it’s broken’.“ Er hatte Recht: das Wadenbein war gebrochen.

Bis zur Rente will Freddy Kretschmer weiter Starlights Muskeln massieren. Weil es ihn freut, „wenn so ein Greaseball am Sonntagabend nach sieben Vorstellungen total ausgelaugt, aber guter Dinge bei mir auftaucht“. Weil ihm die Arbeitszeiten (abends, samstags, sonn- und feiertags) gefallen. Weil sie seiner Frau die eigene Berufstätigkeit ermöglichen; weil sie ihm mehr Zeit mit den Kindern erlauben als andere Väter haben. Im Übrigen: Seien es bis zur Rente nur noch achteinhalb Jahre.

Der erste, den sie bei „StEx“ in den Ruhestand verabschieden, wäre er nicht.