Die 14-jährige Bloggerin Tavi wirbelt mit abstrusen Stilkombinationen die Haute-Couture durcheinander. Und entlockt damit sogar Anna Wintour flammende Hasstiraden.

Bei den Modeschauen in New York sitzt die amerikanische Schülerin, die ihren Be­kanntheitsgrad ihrem Modeblog thestylerookie.­com verdankt, in der ersten Reihe. Eine Ehre, die sonst eher Madonna oder Victoria Beckham zuteil wird. Direkt neben der berühmten Vogue-Chefin Anna Wintour. Selbstbewusst greift die Kleine die berühmte Mode-Königin an. In ihrem Blog beschwert sie sich darüber, dass es in den USA kaum interessante Modezeitschriften gibt. Das sitzt.

Bloggerin Tavi. Foto: Getty
Bloggerin Tavi. Foto: Getty © Getty Images | Getty Images





Die verbale Retourkutsche folgt prompt. Bei einem Vortrag am New Yorker Pratt Institut, der renommierten Hochschule für Kunst und Design, giftete Wintour auf die Frage einer Studentin zur Bedeutung von Modeblogs: „Je mehr über Mode geredet wird, desto besser. Aber, verzeihen Sie bitte, wir haben den Eindruck, dass viele der Neuankömmlinge in dieser Welt nicht ganz das Verständnis für Mode und nicht ganz die Erfahrung ha­ben, die sie haben sollten.“

Die aggressive Reaktion der 61-Jährigen spiegelt die Angst der etablierten Modekritik vor der neuen Bloggerwelt wieder. Der Trend, vom heimischen Sofa Fashion-Stile zu kommentieren, boomt. Warum? Weiß keiner so genau. Aber zwischen Berlin und Peking machen sich immer mehr junge Menschen auf, fotografieren auf der Straße interessant gekleidete Menschen und setzten die Ergebnisse ins weltweite Netz.

Modefirmen und Trendscouts beobachten die Szene mit Interesse. Entdecken die Community als neue Kommerzplattform. Beispiel: Jane Aldridge. Mit 15 startete sie ih­ren Blog „Sea of Shoes“ (seaofshoes.typepad.com). Heute, drei Jahre später, besuchen 70 000 Fashion-Freaks ih­re Seite. Täglich. Zwischenzeitlich hat sie bereits Schuhe für die Kette „Urban Outfitters“ sowie einen Trenchcoat für „Gryphon“ entworfen und bekommt von den führenden Designern Klamotten zugeschickt – in der Hoffnung, sie beschreibt sie auf ihrer Seite und kurbelt den Verkauf an. Große US-Kleidungshersteller suchen den Kontakt zu den Bloggern, die über eine große Fangemeinde verfügen.

Natürlich auch, weil Blogger, gerade solche wie Tavi Gevinson, die sich in Second-Hand-Läden, aus dem Schrank ihrer Mutter und auf Flohmärkten ein-trasht, einen unverbrauchten, unkonventionellen Blick auf die Modewelt ermöglichen. Sie dokumentieren den extravaganten Stil der Straße, kreieren Persönlichkeiten, zeigen, was echten Menschen im echten Le­ben gefällt. Das wiederum regt die Kreativität der Designer im millionenschweren Couture-Zirkus an.

Branche geht ins Netz

Die Macht der Modepüppchen wächst. Auch weil die Modebranche spätestens seit Beginn der Wirtschaftskrise statt in der „Vogue“ einer Anna Wintour immer lieber – weil preisgünstiger – im Internet in­seriert. In den letzten beiden Jahren ging das Anzeigenaufkommen der Modebibel um knapp 40 Prozent zurück.

Statt Tausende von Dollars für ein Coverfoto auszugeben, reicht den Bloggern ein origineller Schnappschuss mit dem Handy. Ihre Outfits entsprechen auch einem anderen Marktsegment: Tavi bietet auf ihrer Internetseite ein reines Baumwoll-T-Shirt für schlappe 39,99 Dollar an. Inspiriert von Saint Laurent 2008. Wenig elitär, auf jeden Fall erschwinglich und ganz sicher: ein weiterer Grund für den Teufel, ne­ben Prada auch Hörner zu zeigen.