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Frauen schreiben für Frauen: Der Markt für erotische Literatur wächst, und zwar schnell. Viele größere Verlage haben eigene Reihen, manche kleinere setzen ganz auf das Konzept „sex sells“.

Männer sind einfacher, sagt Kira Licht: „Eine Frau anzumachen ist die schwierigere Disziplin.“ Kira Licht ist 29 Jahre alt und Medizin-Studentin in Bochum, doch interessieren sie die Gesetze menschlicher Erregbarkeit nicht aus wissenschaftlichen Gründen. Sondern aus literarischen: In ihrem ersten Roman, „One Night Wonder“, lässt Heldin Lilli sich fröhlich von Mann zu Mann treiben und schreckt nicht davor zurück, einen Unbekannten in die Zugtoilette zu locken; hier, mitten unter uns, an Rhein und Ruhr.

Skandalös? Ach was.

Erotisches von Frauen für Frauen – mit diesem Konzept der Reihe Anais erlebt der Verlag „Schwarzkopf & Schwarzkopf“ nach eigener Aussage Höhepunkte des Verkaufserfolgs. So schwärmt Programmleiterin Jennifer Hirte und wagt eine zeitgeistige These zu all den Manuskripten, die Frauen bundesweit schicken: „Sex ist ein Teil unseres Lebens, so wie die Arbeit, die Familie.“ Sex ist kein Skandal. Sex ist nicht: Charlotte Roche. „Feuchtgebiete hätte ich nicht gemacht, das ist doch nicht erotisch!“

„Der Markt des Begehrens ist ein schnell wachsender Markt“

Tatsächlich passt „Feuchtgebiete” kaum ins Bild der schreibenden Lustmacherinnen, die im Tonfall eines Teenie-Highschool-Dramas letztlich in den Schoß der Konventionen zurückkehren: Sex ist sauber und riecht nicht, und am Ende wollen Frauen doch immer nur das Eine: Liebe. Roche hingegen ist radikal, feministisch, männlich in ihrer Umkehrung der Geschlechterrollen. Sie ist die andere, dunklere Seite eines Trends.

Denn Fakt ist: die Ladys chatten, rund 80 Jahre nach Lady Chatterley. Viele große Verlage haben Erotik im Programm, kleinere setzen ganz auf das Konzept sex sells. „Der Markt des Begehrens ist ein schnell wachsender Markt, der heute präsenter ist als früher und viele Nischen hat”, sagt Melina Guske: Die Studentin der Buchwissenschaft in Mainz schrieb soeben ihre Magisterarbeit zum Thema.

Der Trend ist erstaunlich, aus zwei Gründen. Erstens: Gibt es ja auch Filme über Sex, im Gegensatz zu den medial kargen, frühen Anfängen der erotischen Literatur. Gerade Frauen aber lassen sich offenbar lieber schwarz auf weiß anregen, erklärt Autorin Sophie Andresky, die bei „Heyne Hardcore“ gedankliche Hüllen fallen lässt: „Bei einem erotischen Text spielt man selbst mit. Bei Pornofilmen braucht man nur die Augen, aber nicht das Gehirn – dabei ist etwas ja umso lustvoller, je mehr Sinne man beteiligt.“ Die Fantasie ist weiblich. Der Humor vielleicht auch, so Andresky: „Sex ist doch auch eine komische Angelegenheit. Dieses Schnaufen und Schubbern, Robben und Räkeln.“

Nur englischsprachige Autoren müssen sich vor dem „Bad Sex Award“ fürchten

Zweitens hat die deutsche Literatur keine Tradition der Erotik, kaum seriöse Vorbilder für die Schreiberinnen – noch vor ein paar Jahren konnte der Streit um Anzügliches im Roman von Haruki Murakami ein Literarisches Quartett entzweien. In England hingegen hat D.H. Lawrence mit „Lady Chatterleys Lover“ bereits 1928 Sexualität und Sozialkritik vereint, Amerika profitierte von Henry Millers Auslandserfahrungen in Frankreich. Die Franzosen selbst wurden von Anais Nin ins „Delta der Venus“ entführt, bekamen von Benoite Groult Salz-Schauer auf die Haut und das sexuelle Leben der Catherine Millet präsentiert.

Nur englischsprachige Autoren müssen sich vor dem „Bad Sex Award“ fürchten, der seit 1993 für schlechten fiktiven Sex vergeben wird. (2009 erhielt ihn Jonathan Littell.)

Nur: Wie geht denn, bitte, guter Sex? „Er muss wirklich wichtig für die Handlung sein, es muss einen Grund dafür geben“, erklärte Maxim Biller jüngst der konservativen Schweizer Zeitung „Weltwoche“ und fügte beinahe entschuldigend an: „Da klinge ich jetzt gleich wie ein Pornodarsteller.“

Tatsächlich finden immer mehr jüngere deutsche Autoren gute Gründe. Im Gedächtnis bleiben aber vor allem Szenen voller körperlicher oder emotionaler Enttäuschung – sind nur die relevant für den Plot? Oder halten sich die Schreiber an eine Warnung, die Autor Norbert Kron in der Zeitschrift „Literaturen“ formulierte? Von einer besonders heiklen „sexuellen Spielart” sollte Literatur ja die Finger lassen, meinte er: dem „mystischen Glück des Liebesaktes”, dessen wahre Heimat die Wortlosigkeit sei. Im gleichen Essay verriet Kron sein eigenes geheimstes Begehren: „Die schmutzigste Phantasie eines Schriftstellers ist es, eine Sexszene zu schreiben, die sogar dem Literaturkritiker Lust bereitet.“ Wir warten.