Duisburg. .

Jahrzehntelang war sie eine Dame mit vielen kleinen Geheimnissen: Die „Frau auf dem Wagen“ von Alberto Giacometti (1901-1966).

Aber nun steht sie wahrlich nackt und bloß vor uns. Von Röntgen-Strahlen durchleuchtet auf ihre metallenen Innereien. Auf ihr Vorleben untersucht, das sie als Isabel Nicholas im mondänen Paris führte, wo sie 1936 Muse und Modell des Schweizer Bildhauers Giacometti wurde. Nicht mal ihre Käuflichkeit blieb geheim. 1,5 Millionen Mark hat das Duisburger Lehmbruck-Museum 1986 für die 1,53 Meter große, schmale Schöne bezahlt. Heute ist sie um ein Vielfaches kostbarer, nicht nur in finanzieller Sicht. Ihr kunsthistorischer Wert ist unschätzbar.

Da stört es auch nicht, dass es gleich vier von ihrer Sorte gibt. Das Museum bringt sie mit Hilfe der Foundation Alberto und Annette Giacometti erstmals zusammen. Die Damen sind Mittelpunkt der Ausstellung über den Schweizer Ausnahme-Künstler und verkörpern gleichzeitig den Wendepunkt in Giacomettis plastischem Werk - von den nadeldünnen Miniaturskulpturen und faustgroßen Köpfen hin zur hoch aufragenden, zerklüfteten Figuren, mit denen er zu Weltruhm kam.

In Duisburg setzt „Die Frau auf dem Wagen“ auch den glänzenden Schlusspunkt der jahrzehntelangen Wirkens des scheidenden Museums-Chefs Christoph Brockhaus und seines Kurators Gottlieb Leinz, die Giacometti zu einem Standbein des Museums machten, neben Lehmbruck.

Anfang der 1960er erstand das Skulpturen-Museum die ersten Giacometti-Werke wie „Der Wald“, als alle Welt noch informelle Malerei kaufte und nicht die spirreligen Figuren des zeitweiligen Surrealisten und Existenzialisten-Freundes. 1977 zeigte das Museum Lehmbruck die erste große Retrospektive in Deutschland. 1986 gelang dann der Erwerb der „Frau auf dem Wagen“, die einzige Gipsskulptur von Giacometti in einem deutschen Museum, einmalig zudem mit ihrer lebendig gezeichneten Mimik aus Brauen, Augen und Mund. Sie trifft in Duisburg nun erstmals auf ihre fragilen Schwestern, eine davon ein späterer Bronzeguss von 1964, den die Stuttgarter Staatsgalerie geschickt hat. Weitere wichtige Leihgaben vom Privatsammlern und Museen wie dem New Yorker MoMA mit seiner sich zwischen Kampf- und Sonnenwagen bewegenden Wagenskulptur „Le Chariot“ (1950) komplettieren die Ausstellung, die mit über 30 Skulpturen, 40 Fotografien, Dokumenten und Archivmaterial um einen Meilenstein auf dem Weg der Giacometti-Rezeption kreist: Die „Frau auf dem Wagen“ von 1945 als Schlüsselwerk der Neuorientierung im Giacometti-Schaffen, als erste große, fast monumentale Figur, die dem Maler-Sohn aus Graubünden gelang.

Rollwagen ins Jenseits

Ausgiebig hat man in Duisburg dazu geforscht. Inzwischen ist sich Leinz sicher: Ein Gemäldefragment, das die Schau ebenfalls präsentiert, hat Giacometti die Proportionen vorgegeben. Mit dieser Arbeit überwindet einer, der lebenslang um das ideale Abbild ringt, manisch arbeitet und noch Kette raucht, als der Magenkrebs wuchert, die bildhauerische Suche nach der grundlegenden Proportionierung der Figur.

„Triumph und Tod“, heißt es im Untertitel der Schau. Der Sockel, auf dem die Gipsfrau steht, ist gleichzeitig auch Totenwagen ins Jenseits, ein Verweis auf Giacomettis Beschäftigung mit ägyptischen Prozessions-Zeremonien.

Sein Markenzeichen aber gerät zeitlos: Die hochaufragende, stehende, immer fleischlosere Figur, wie sie „Frau Leoni“ (1947) in ihrer aufrechten Einsamkeit und vollkommenen Unfertigkeit verkörpert. Den Schlüssel dazu kann man nun im Lehmbruck Museum finden.