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Im Frühling dürfen sich die Leser auf neue Werke aus den USA freuen. T.C. Boyle eröffnet einen furiosen Reigen der großen US-Autoren. Don DeLillos Roman „Der Omega Punkt” thematisiert Verlust und Verschwinden. Philip Roth zeigt „Die Demütigung” des Alterns und Verlassenwerdens.

Die Literatur ist auf dem Sprung, jedenfalls in den Verlagsvorschauen dieses Frühjahrs: Bei Rowohlt steht eine Silhouette noch am Rande des Meterbretts, bei dtv fliegen vier Jungen gen Meer, bei Ullstein einer allein auf dem Boden, flüchtig. C.H.Beck bebildert die Abteilung „Deutschsprachige Literatur” gar mit einem waagerecht gelegten Sprungturm. Doch so nett all die dynamischen Jungmännermuskeln sein mögen, sie illustrieren auf traurige Weise, was der Fall ist: Die deutschen Literaten wenden uns in diesem Frühling den Rücken zu. Lassen den Leser allein mit seiner Sehnsucht nach jenem Werk ihrer Generation, das den Nerv der Zeit trifft.

Übersee-Zungen

Wagen wir daher zunächst selbst den Sprung – über eine große Pfütze: T.C. Boyle eröffnet im Februar einen furiosen Reigen der großen US-Autoren. „Das wilde Kind” (Hanser) ist einem Erzählband entnommen, der zeitgleich in den USA veröffentlicht wird. Auch Don DeLillos Roman „Der Omega Punkt” (Kiepenheuer&Witsch) erscheint auf Englisch und Deutsch zugleich; Verlust und Verschwinden sind seine Themen. In ähnliche Richtungen schreitet Paul Auster im neuen Werk: „Der Unsichtbare” wird im Juli bei Rowohlt zu sehen sein. Mit Philip Roth erlebt der Leser im März bei Hanser „Die Demütigung” des Alterns und Verlassenwerdens, beides ja auch eine Art von Unsichtbarkeit.

Zwei kleine Tipps neben den großen Namen: Der Dörlemann-Verlag hat allererste Geschichten der Kanadierin Alice Munro übersetzen lassen – ein „Tanz der seligen Geister”. Geisterhaft auch die Wiederentdeckung eines frühen, an einen wahren Mordfall angelehnten Krimis, den die Beat-Begründer William S. Burroughs und Jack Kerouac verfassten: „Und die Nilpferde kochten in ihren Becken” (Hanser).

Und vergessen wir nicht Mark Twain, dessen Tod sich am 21. April zum hundertsten Mal jährt: Der Aufbau-Verlag würdigt dies mit der Erstveröffentlichung von „den liebsten und lustigsten Liebesbriefen, die je geschrieben wurden”, der mare-Verlag mit einem brandneuen Reisebericht von 1866: „Post aus Hawaii”.

Deutsche Rücken-Sicht

Beschäftigen sich US-Autoren wortmächtig mit Verlust und Verlassen, so fühlt der Leser hierzulande genau dies angesichts des heimischen Angebots. Kurz: Die Schreiber schweigen, mit allzu wenigen Ausnahmen. Arno Geiger, der 2005 den ersten deutschen Buchpreis erhielt, beschäftigt sich in „Alles über Sally” (Hanser) mit „Liebe und Ehe in unserer Zeit”. Und auch einige (noch) nicht bekannte deutsche Autoren erfinden allerlei Varianten des Nichtfunktionierens. Aber ist das Thema nicht längst durch?

Wer gefällig aus dem Rahmen fällt: Moritz Rinke, der Dramatiker, schreibt über seinen Geburtsort Worpswede („Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel”, Kiepenheuer&Witsch) und Clemens Meyer, der Begnadete, sucht im Tagebuch nach seinen Wurzeln: „Gewalten” (S.Fischer).

Leere im Becken

Angesichts der Leere im Literaturbecken schauen wir erwartungsfroh auf jene Beiden, die ganz oben auf dem Sprungbrett stehen: Christa Wolf und Martin Walser. Dessen Novelle „Mein Jenseits” beschreibt den Umgang mit jenen, die „im Alter allmählich komisch” werden. So jedenfalls verrät es die Vorschau der kleinen Berlin University Press, bei der Walsers Werk im Februar erscheint. Eigentlich ein Sachbuch-Verlag, aber: „Jetzt auch Literatur”.

Dem von Walser verlassenen Suhrkamp Verlag bleiben immerhin Walsers Tagebücher (1974-78) und natürlich der neue Roman von Christa Wolf: In „Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud” ließ sie sich inspirieren von einem längeren Aufenhalt in Los Angeles, ihren Text nennt sie ein „Gewebe”. Auch sonst setzt der Verlag, der sich nach seinem Umzug seit Jahresbeginn in der Hauptstadt behaupten muss, eher auf die Klassiker. Zwar sind mit Marion Poschmann, Dietmar Dath, Hans-Ulrich Treichel einige Zeitgenossen dabei, doch lässt uns vor allem Max Frisch aufspringen: „Tagebuch 3” heißt das Typoskript, das im August 2009 im Max-Frisch-Archiv entdeckt wurde und nun zur Veröffentlichung kommt.