Essen. .

„Betriebsratsverseucht“ ist Unwort des Jahres - ein Zeitgeist-Dokument: Es zeigt, wie viel Unverschämtheit sich der Kapitalismus leistet. Doch auch die, die den Begriff ausgewählt haben, verdienen Kritik: Wer ein Unwort wählt, erzwingt die Erfindung weiterer Unwörter.

Es ist ja wahr, das Wort „betriebsratsverseucht” sagt mit einem bösen, zynischen Grinsen, wieviel Unverschämtheit sich der real existierende Kapitalismus heute leisten kann. Der Begriff lässt sich als Chiffre für die fortschreitende Entsolidarisierung lesen, als Zeitgeist-Dokument: Cool ist heute nicht mehr der Kampf für die Rechte von Arbeitnehmern, cool ist heute, sich darüber lustig zu machen. Das Wort „betriebsratsverseucht” haben sich ja nicht irgendwelche Raubtierkapitalisten am grünen Tisch ausgedacht, es kommt aus einer Baumarktkette, aus der Praxis von Abteilungsleitern, die ihre Kollegen vor gewerkschaftlich engagierten Mitarbeitern warnen wollen.

Dabei weiß jeder, dass es nur die Knappdenker unter den Kapitalisten sind, die glauben, sie würden besser fahren ohne solchen Firlefanz wie Sozialpartnerschaft. Spätestens dann, wenn Unternehmen am Abgrund stehen, erinnern sie sich ja plötzlich wieder an solche Begriffe wie „Solidargemeinschaft” oder „Gesellschaft”...

Ein Hauch von Pharisäertum

Und doch: Wir haben all das auch schon gewusst, ohne vom „Unwort des Jahres” zu wissen. Denn nicht zum ersten Mal hat die Jury um den Frankfurter Sprachwissenschaftler Horst Dieter Schlosser ein Wort aus den vielen Hundert Vorschlägen ausgesucht, von dessen Existenz die allermeisten Menschen überhaupt nicht wussten. So bekommt der Vorgang, ein „Unwort des Jahres” zu küren, einen Hauch von Pharisäertum - die Jury macht es bekannt, um darüber herfallen zu können.

Da war es schon sinnvoller, die „notleidenden Banken” zum Unwort des Jahres 2008 zu machen: Dieser seinerzeit oft benutzte Begriff verschleierte tatsächlich die Realität, indem er Täter wie Opfer dastehen ließ. An dieser Stelle hatte Sprachkritik noch einen echten Sinn.

Neue Unwörter - nur unauffälliger

Aber aus Wörtern wie dem monierten „betriebsratsverseucht” oder auch der zweitplatzierten „Flüchtlingsbekämpfung”, die Angela Merkel bei einer Veranstaltung der Bertelsmann-Stiftung herausgerutscht ist, spricht ja die nackte Ideologie, sie sind verräterisch auf eine völlig unverblümte Art.

Was erreicht man da, wenn man sie zu „Unwörtern des Jahres” ausruft? Diejenigen, die sie benutzen, werden sich erschrocken den Mund mit der Hand zuhalten. Und sich sofort neue Wörter ausdenken, die das, was sie meinen, etwas unauffälliger, vielleicht sogar verschleiernd umschreiben. Mit anderen Worten: Sie denken sich neue Unwörter aus.