Essen. .

Ein Brite gilt als Spezialist fürs Deutsche und schuf Museen von Berlin bis Marbach. Ein Gespräch mit dem Star-Architekten David Chipperfield über das neue Museum Folkwang und modernes Bauen.

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Mit dem früheren Essener Museumszentrum verhielt es sich so wie in manchen Familien: Es gab ein geliebtes und ein ungeliebtes Kind. Der „Altbau“, ab 1956 errichtet, war jedermanns Liebling. Der „Neubau“, der 1983 eröffnet wurde, um das Ruhrlandmuseum und Wechselausstellungen zu beherbergen, war das Schmuddelkind. Ungeliebt, nach noch nicht einmal 25 Jahren abgerissen. Derweil entstand in nur zweieinhalb Jahren Bauzeit ein neues Museum Folkwang unter Einbeziehung des geliebten Altbaus in der zeitlos-eleganten Museumsarchitektur von David Chipperfield. Beim Rundgang durch das Haus, das am 30. Januar eröffnet wird, sprach Dirk Aschendorf mit dem englischen Architekten.

Was fühlt ein Architekt, wenn erst ein Museum abgerissen werden muss, bevor er seine Pläne verwirklichen kann?

David Chipperfield: Wir waren einerseits nervös und ängstlich, was das Problem mit dem Vorgängerbau anging. Andererseits muss man ein Gebäude wirklich hassen, wenn man es nach 20 Jahren zerstören lässt.

Warum hasste man Ihrer Ansicht nach den 80er-Jahre-Bau in Essen so?

David Chipperfield: Ich denke, nicht nur die Anbindung an die Stadt und die gesamte innere Organisation mit den unterschiedlichen Ebenen des Gebäudes waren schwach, sondern auch die Räume selbst. Sehen Sie dagegen den Bau aus den 50er-Jahren: Er ist einfach. Höfe und lichte Gänge verbinden die schlichten schönen Baukörper, die sich dem Menschen sofort erschließen.

Wie würden Sie die Grundzüge Ihres neuen Folkwang-Baus beschreiben?

Begehung des Museum Folkwang mit dem Architekten David Chipperfield. (c) Kerstin Kokoska/WAZ FotoPool
Begehung des Museum Folkwang mit dem Architekten David Chipperfield. (c) Kerstin Kokoska/WAZ FotoPool

David Chipperfield: Wir wollten natürlich eine bessere Anbindung an die Stadt. Dazu musste das gesamte Museum erst einmal ,gedreht’ werden. Der Haupteingang sollte nicht an einer Seitenstraße liegen. Gleichzeitig wollte ich aber architektonische Massen wie riesige Treppenhäuser, durch die sich der Besucher erst einmal den Weg zur Kunst bahnen muss, vermeiden. Ein Kunstmuseum muss mehr anbieten als Shops und Cafés. Oft gibt es zuviel Raum für Anderes, bevor man die Kunst sieht. Eigentlich habe ich die Idee der Integration von Höfen, aber auch die Klarheit der Architektur vom Altbau übernommen. Ich wollte nie gegen ihn, sondern immer mit diesem wunderbaren Bau arbeiten. Eine Idee war sicherlich auch, mehrere ,Häuser’ zu schaffen entsprechend der vielteiligen Folkwang-Sammlung. Die sollen dann wie ein kleines ,Dorf’ funktionieren. Der Besucher wird gleichsam auf einer Ebene durch das Raumkonzept geleitet. Es ist eine Gratwanderung zwischen Transparenz, der Öffnung nach außen, und Schutz zugleich.

Transparenz und Leichtigkeit bei einem Museum, wo es auf viel Platz für die Hängung ankommt: Ist das für den Architekten nicht die Quadratur des Kreises?

Folkwang Museum (c) Kerstin Kokoska/WAZ FotoPool
Folkwang Museum (c) Kerstin Kokoska/WAZ FotoPool

David Chipperfield: Natürlich braucht man viel Wandfläche. Aber sehen Sie, zum Beispiel bei der Fassade, die ist aus Glaskeramik, recyceltem Glas, der Sockel aus Stein. Da spielen wir mit der Ambiguität zwischen den Materialien. Glas ist leichter als Stein. Oder die neuen Höfe, die öffnen sich alle an einer Seite hin auf die Umgebung. Da variieren wir die geschlossene Hof-Form des Altbaus. Ich versuchte hier immer die Balance zu halten zwischen Leichtigkeit und Solidität.

Sie sind einer der meistbeschäftigten Museums-Architekten. Die letzte große Arbeit war das Neue Museum in Berlin. Da ging es um Bauen im Bestand, im Historischen. Schafft ein Architekt nicht lieber völlig Neues?

David Chipperfield: Berlin, das war schon eine spannende Aufgabe. Essen war ganz anders. Da muss man eine Idee fast wie aus dem Nichts mitbringen. Da geht es auch um Atmosphäre, die an dem Ort, mit dem Ort, neu entsteht.

Welche Rolle spielte der künftige Inhalt des Hauses bei Ihrer Planung? Wäre für eine Antikensammlung oder mittelalterliche Kunst etwas anderes herausgekommen?

David Chipperfield: Auf jeden Fall. Diese Sammlung mit Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts inspirierte mich zu diesem Bau, sonst wäre sicher etwas anderes entstanden.

Hätte es Sie gereizt, auf Zollverein in der alten Industriearchitektur zu bauen?

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Von DerWesten

David Chipperfield: Zollverein ist viel komplexer, schwieriger. Aber das neue Ruhrmuseum ist zweifellos einer der interessantesten Bauten in der Museumslandschaft.

Das neue Folkwang wirkt wie ein Bau der klassischen Moderne. Mies van der Rohe, Le Corbusier: Sind das Vorbilder? Oder gibt es andere?

David Chipperfield: Natürlich gibt es Vorbilder, sicher auch die von Ihnen genannten. Wichtig war für mich aber immer auch Louis Kahn und besonders Alvaro Siza. Ihn halte ich für einen der wichtigsten Zeitgenossen überhaupt. Er ist erfindungsreich in der Gestaltung und - er fußt in der Tradition.

Was bedeutet für Sie Tradition in der Architektur?

David Chipperfield: Für mich ist Architektur immer auch Kontinuität. Wir kommen alle nicht aus dem Nichts. Und Bauen bedeutet für mich jedes Mal ein Blick in Vergangenheit und Zukunft zugleich.