Gelsenkirchen. .

Das Musiktheater im Revier hat zu seinem 50.Geburtstag viele Gründe zu feiern. Mit der Neuinszenierung der „Zauberflöte” ist ein guter dazugekommen. Vielleicht hat das Premieren-Publikum gar die schönste Mozart-Inszenierung gesehen, die die Spielpläne der Region aktuell bieten.

Dabei findet hier keine wuchtige Requisitenschlacht statt. Das Märchen von der Menschwerdung, es nimmt auf fast nackter Bühne seinen Lauf. Der junge niederländische Regisseur Michiel Dijkema hat als sein eigener Bühnenbildner schlicht das dunkle Holzportal des Musiktheaters zur raumgreifenden Flucht verlängert. Es rahmt schichtweise die Fläche für eine Inszenierung, die Lust an der Clownerie hat, die ihre Figuren originell zeichnet ohne allzuviel Weihrauch in heil’ge Hallen zu blasen.

Drei reizende Omas als rabiates Napfkuchengeschwader

Nehmen wir nur die drei Damen, Abgesandte der Königin der Nacht. Sie erobern die Bühne als rabiates Napfkuchengeschwader. Drei reizende alte Omas, die keinen Augenblick zögern, die Handtasche kreisen zu lassen, wenn der Orchesterflötist sein Instrument nicht hergibt. Oder Papageno: Dijkema zeigt ihn klassisch, aber nicht zuletzt durch sein Glockenspiel mit einem Sensationsauftritt beschenkt. „Kleinod” nennt es das Libretto – und einer der brillanten Späße des Zaubermärchenerzählers Dijkema wuchtet ihm ein wuchtiges Wahnsinnspaket „Vorsicht! Zauber!” auf den Rücken. Darin: ein uralter Mensch, mit Kurbel anzutreiben...

Diese Zauberflöte macht nicht den Versuch einem Stück, das bei aller Popularität von Geburt an dramaturgischen Schwächen krankt, Erhabenheiten aufzubürden. Sie sieht das Priesterreich Sarastro so wenig als Gelehrtenrepublik wie es fehlerfrei ist. Des Oberpriesters Jagdgesellschaft (die das Libretto vorgibt), schießt die possierlichen Tiere über den Haufen, die eben noch Musik sanft zu bändigen wusste. Und Sohlenstreiche, gängige Währung im Palast der Weisen, werden keineswegs ohne Lust verteilt.

Die Bösen sind nicht nur böse, die Guten nicht nur gut

Aber so ist das eben in Mozarts rätselhaftester Oper: Die Bösen sind nicht nur böse, die Guten nicht nur gut. Davon erzählt der Abend ungemein fantasievoll. Man sitzt da, staunt und lässt sich erzählen – von Trieben, Sehnsucht, Sinnsuche, Einsamkeit. Wie Dijkema die schwierigen Prüfungs-Szenen an die Grenze einer Copperfield-Show (samt Sarg und Trockeneis) führt, ohne die Geschichte zu denunzieren - meisterhaft.

Es gab Intendanten in Gelsenkirchen, die waren begnadete Talentsucher. Die Zeiten, da man einen Wolfgang Holzmair oder Harald Stamm hören durfte, scheinen vorbei. So darf man das Sängerniveau dieses Abends respektabel nennen. Michael Tews Sarastro ist eher basschwarzer Bruder eines Götterdämmerungs-Hagen, Lars-Oliver Rühls Tamino stößt auch wegen mangelnder lyrischer Farben an seine Grenzen. Petra Schmidts Pamina hat großartige Momente, Piotr Procheras Papageno muss man einfach ins Herz schließen und Diana Petrovas „Königin“ ist ein wütendes Muttertier mit stechenden (oft gestochen scharfen) Koloraturen. Kostbares Kabinettstück: Alfia Kamalovas sinnliche Papagena! Gefeiert für einen feinnervigen und doch zutiefst musikantischen Mozart-Klang: Die Neue Westfälische Philharmonie unter Rasmus Baumann.

Ein starker Abend, der allenfalls in der Weiterentwicklung der Figuren Defizite erahnen lässt. Aber vielleicht macht sogar gerade das seinen doppelbödigen Charme aus. Er ahnt bis zum versöhnenden Finale: Wir spielen alle, wer es weiß, ist klug.