Bonn. .
Thomas Schütte zählt zu den großen Bildhauern und Zeichnern der Gegenwart. Bei der Biennale von Venedig bekam er den Goldenen Löwen. Im September wird er mit dem Düsseldorfer Kunstpreis ausgezeichnet. Bonn widmet ihm nun eine große Schau.
Thomas Schüttes Atelier ist so etwas wie das Rehabilitationszentrum der bildenden Kunst. Was längst überholt schien, macht er wieder hoffähig. Was als antiquiert gilt, findet er wieder interessant. Er malt duftige Blüten-Aquarelle und gießt klassisch anmutende Frauenakte in Bronze. Und als wäre das der altmeisterlichen Art nicht genug, zeigt seine jüngste Arbeit auch noch drei fliegende Engel aus Aluminium.
Wie riesige bleierne Vögel baumeln sie in der großen Halle der Bonner Bundeskunsthalle an einem Kran. Tonnenschwere Leichtgewichte, die wie vieles in Schüttes komplexem Werk ihren Anfang im Kleinen, Spielerischen nehmen. Schütte-Kunst, das ist bisweilen eine eigentümliche Symbiose aus Intuition und Analyse, Knete und Kunstgeschichte. Beim Suchen nach einer Anleitung fürs vorweihnachtliche Basteln mit seiner Tochter ist der Künstler auf die Christkind-Figuren gestoßen. Nun sprengen sie mit ihren dreieinhalb Metern jeden Rahmen von Lieblichkeit.
So führt die Bonner Schau in eine neue Schütte-Dimension. „Big Buildings. Modelle und Ansichten” heißt die Ausstellung, die den 55-Jährigen als einen „der wichtigsten Bildhauer der Gegenwart” würdigt, so Intendant Robert Fleck. Wie man erkennt, ist der documenta-Teilnehmer und Biennale-Preisträger, der im September mit dem hoch dotierten Düsseldorfer Kunstpreis geehrt wird, mit seinen Aufgaben gewachsen.
Eine Mischung aus Dorfrichter Adam und Adenauer im Schlafrock
Für den gewichtigen „Entwurf eines Hotels”, der eineinhalb Jahre lang am Londoner Trafalgar Square nicht nur die Tauben anlockte, musste deshalb sogar eine Unterboden-Verstärkung her. Das begehbare, bunt verglaste „Ferienhaus für Terroristen”, bislang nur als Modell bekannt, würde einer Familie problemlos Unterschlupf bieten. Und welches Gewicht der fünfeinhalb Meter hohe „Mann im Matsch” auf die Waage bringt, mag man kaum schätzen. Auch wenn es nur das weiße Styroporgips-Modell jenes Originals ist, das in Schüttes Geburtsstadt Oldenburg steht.
Selbst wenn in dieser 30 Jahre und 60 Werke umspannenden Schau die wulstigen, grotesk deformierten „Großen Geister” fehlen, die zu Schüttes Markenzeichen wurden: Die Gulliver-Perspektive wird man beim Besuch der Bundeskunsthalle nicht los. Klein und fast ein wenig ehrfürchtig steht man also vorm mächtigen „Vater Staat” (2010); in seinem bodenlangen Mantel eine Mischung aus Kleists Dorfrichter Adam und Adenauer im Schlafrock. Hände zum Geldausgeben hat er keine, die muss man in diesen Tagen wohl selber benutzen.
Diese mal subtile, mal sarkastische Art der Gesellschafts-Kritik, dieses ebenso hellsichtige wie spröde Auf-den-Punkt-Bringen zieht sich durch das gesamte Schütte-Werk, das in Bonn nicht retrospektiv präsentiert wird, sondern mit Schwerpunkt auf die architektonische Arbeit. Allein Schüttes „Kreuzzug-Modelle”, entworfen nach dem 11. September 2001, füllen einen Raum. Da trifft man auf die „Renditekiste” als ironische Anspielung auf ideenlose Kasten-Architektur und die geschwungene „Golf-Halle”, die Investoren-Träume am ehesten beflügeln könnte.
Irgendwo zwischen Ideenwettbewerb und Nichtmachbarkeits-Studie, zwischen städtebaulicher Ermunterung und Kritik an menschenfeindlicher Funktionalität bewegen sich die Modelle, die in der großen Halle noch einmal anwachsen. Da wird das „One Man House” sogar zum Giga-Gerüst mit Turmblick.
Vom Bauhaus lernen
Schütte, der bei Fritz Schwegler und Gerhard Richter an der Düsseldorfer Akademie studiert hat, lässt nach dieser Begegnung in Bonn ahnen, dass man wohl auch Walter Gropius zu seinen Lehrvätern zählen muss. Sein Bauhaus-Credo, dass „das Endziel aller bildnerischen Tätigkeit der Bau”, sein müsse, kann man nicht nur im Katalog nachlesen. Schütte huldigt ihm in ganz großen Maßstab.