Ruhrgebiet.

Den einen zentralen Platz, eine Piazza del Popolo, auf dem die Kulturhauptstadt sich hätte feiern können, den hat das Ruhrgebiet nun mal nicht. So hat sie sich auf dem metropoligsten gefeiert, das sie hat: dieser Straße, die alles verbindet.

Selbstverständlich war es eine völlig abgefahrene Idee, die Hauptschlagader des Reviers für einen Tag abzusperren. Doch der Verkehrsinfarkt, den viele drumherum befürchtet hatten, blieb aus. Das heißt: Eigentlich fand er genau dort statt, wo er sonst auch zu Hause ist – statt Autos stauten sich auf dem Asphalt der A 40 Fahrräder in geradezu holländischen Ausmaßen: So sieht Freude am Ausnahmezustand aus.

Schlendernd, radelnd haben die Menschen ein Stück Alltagsraum zurückerobert, der ihnen als Un-Ort vertraut ist und auf den man möglichst keinen Fuß setzt: Wer hier herkommt, tut es, um so schnell wie möglich wieder wegzukommen.

Und doch ist dieser Durchzugs-Raum längst ein Stück Heimat geworden. Den meisten Menschen sind die Bilder rechts und links des Standstreifens heutzutage viel vertrauter als die Ufer des Flusses, nach dem das Ruhrgebiet benannt ist. Dass für einen Tag lang alles ganz anders war als sonst, ohne Autogase und -lärm, darin lag schon die ganze Exotik dieses Festes. Darum haben sie gestern auch mindestens genauso viel gestaunt wie gefeiert: Verwundert und bewundernd blickten die Menschen auf das Vertraute, blickten auf – sich.

Das metropoligste an dieser Riesenregion ist nun einmal diese Straße

Das Revier hat seit der Internationalen Bauausstellung Emscherpark in den 90er-Jahren gelernt, sich für die Stätten der Maloche nicht mehr zu schämen und sie stattdessen als Industriekultur herauszustellen. In ähnlicher Manier ist die A 40 nun mit dem fröhlichen Fest des Still-Lebens als Ort der Alltagskultur geadelt worden. „Schön ist es auch anderswo“: In der feinen Ironie von Wilhelm Busch steckt die Erfahrung, dass einem selbst das Hässliche ans Herz wächst, wenn es nur etwas Eigenes ist.

Der Ruhrschleichweg, wie man das tägliche Ärgernis mit einer beinahe zärtlichen Verbal-Umarmung gerne nennt, ist das wahre einheitsstiftende Band dieser Region, die vor Vielfalt mitunter aus allen Nähten zu platzen droht. Doch den einen zentralen Platz, eine Piazza del Popolo, eine Place de la Concorde oder einen Roten Platz, auf dem die Kulturhauptstadt sich hätte feiern können, den hat das Ruhrgebiet nun einmal nicht. Ein solches Zentrum fehlt ihm zu einer Metropole klassischer Prägung. Das metropoligste an dieser Riesenregion ist nun einmal diese Straße, auf der es auch in tiefer Nacht nicht ruhig ist, wenn man am besten auf ihr entlanggleiten kann und die Lichter der Städte an sich vorbeiziehen lassen, die hier nahtlos ineinander übergehen.

Schön, dass wir das mal gefeiert haben!