Recklinghausen. Das Leben ist eine Baustelle: "Blanche und Marie", eine Collage nach einem Roman des schwedischen Autors Per Olov Enquist, feiert bei den Ruhrfestspielen die deutsche Erstaufführung.

Ein wackliger Brettersteg führt in die Tiefe des engen Raums. Der Boden, mit Sand bedeckt, die Wände dreckbespritzt. Alles Grau in Grau. Das Leben ist eine Baustelle, das Theater ein Laboratorium. In dieser Szenerie richtete Axel Krauße für die Ruhrfestspiele die deutsche Erstaufführung der Collage „Blanche und Marie” ein. Ein bestechender Reigen rund um die Frage: Was ist stärker, der Verstand oder die Liebe?

Diskurs über Liebe und Vernunft

Der Stoff stammt aus der Feder des schwedischen Bestsellerautors Per Olov Enquist, der bereits in seinem Roman „Der Besuch des Leibarztes” erfolgreich historische Fakten und erzählerische Fiktion mischte. Diesmal verquickt er das Leben zweier Forscher-Kolleginnen aus dem 20. Jahrhundert zu einem Diskurs über Liebe und Vernunft. Enquist selbst besorgte die Bühnenadaption seines Romans, die das Zimmertheater Tübingen in einer bestechend-dichten, traumatischen Inszenierung faszinierend bebilderte.

„Blanche und Marie”, das sind Blanche Wittmann, die als „Königin der Hysterikerinnen” zu bizarrem Ruhm gelangte, und Marie Curie, die zweifache Nobelpreisträgerin. Zwei Wissenschaftlerinnen, die eine Demonstrationsobjekt in einer Irrenanstalt, die andere Erforscherin der Radioaktivität, scheitern am Umgang mit der Liebe. Ihre unglücklichen Beziehungen arbeiten sie im Gespräch mit den männlichen Bezugspersonen auf, moderiert von Sigmund Freud (Robert Arnold).

Liebe überwindet alles

Dem Zuschauer erschließen sich die Facetten dieser Lebensentwürfe wie ein Puzzle. Permanent wechseln Erzählperspektiven und Zeitebenen. Blanche (wunderbar nuanciert Christine Diensberg) ist eine nach Laborversuchen verstümmelte Figur in einer Holzkiste. Sie beklagt die unerfüllte Liebe zu ihrem Arzt Charcot (Peter Ender), der die Frauen lediglich als „unerforschten Kontinent” seziert. Marie (lakonisch distanziert Nicole Schneider) findet nur kurz Erfüllung in der Liebe zu einem verheirateten Mann, die dann an einem fulminanten Skandal zerbricht.

Das Vergilsche Zitat „Amor omnia vincit” (Liebe überwindet alles) taucht wie ein Leitmotiv immer wieder auf, das Geschehen spricht dem Hohn. Krauße zeigt vor allem statische, fast skulpturale Figuren, weniger im Dialog denn monologisierend, und schafft so forschende Distanz.

Verstand oder Liebe? Gefährlich sind für „Blanche und Marie” beide.