Köln. Die vielgeschmähte Band aus Kanada räumte am Fronleichnams-Abend in der Lanxess-Arena ab. Mit einer putzigen Shanty-Version ihres Hits.
Wahrscheinlich hängt das Warnschild schon seit letztem Winter da, aber man hat nie drauf geachtet. Fronleichnam, auf dem Weg zwischen Bahnhaltestelle und Arena, bemerkt man es plötzlich: „Vorsicht Glatteis!“ Jetzt, wo das Gras nicht gefroren, sondern grün ist und der Sommer schon in den Startlöchern steht, kann man das lustig finden. Oder, im besten verschwörungstheoretischen Sinne, eine verschlüsselte Botschaft darin entdecken. Haben sich 13.00 ahnungslose Fans von Nickelback aufs Glatteis führen lassen?
Haben sie tatsächlich geglaubt, sie bekämen 105 Minuten lang gute Rockmusik geliefert? In der irrigen Annahme, sie hätten 17 Stücke gehört – und nicht nur einen einzigen Song? Und waren sie, in völliger Unkenntnis der Umstände, der Meinung, Leadsänger Chad Kroeger, hätte so etwas wie Ausstrahlung? Wo sich doch Avril Lavigne schon nach drei Jahren Ehe hat von ihm hat scheiden lassen. Weil er ihr nicht sexy genug war.
Dave Grohl nahm die bösen Sätze über Nickelback auf seinem Twitter-Account wieder zurück
Wenn der Ausspruch „Viel Feind viel Ehr’“ noch immer Berechtigung hat, dann gebührt Nickelback besonders viel Ehre. Die Band wird im Internet geschmäht wie kaum eine andere. Kritiker überhäufen die Kanadier mit Negativurteilen und die Boulevardpresse, siehe Lavigne, sabbert, sobald es ans Private geht. Selbst so geschätzte Kollegen wie Dave Grohl konnten nicht an sich halten: „Wenn man Nickelback rückwärts hört, hört man den Teufel. Schlimmer ist es, wenn man sie vorwärts hört. Dann hört man einfach nur Nickelback.“
Wobei der Kopf der Foo Fighters hinterher dementierte: Das sei er nicht gewesen, man habe seinen Twitter-Account gehackt. Schade eigentlich. Das waren drei richtig gute böse Sätze. Dass man Nickelback vorwirft, sie seien gar keine richtige Rockband, besäßen keine eigene Identität und variierten immer nur den gleichen Song, kann Kroeger, seinem Bruder Mike (Bass), Gitarrist Ryan Peake und Drummer Daniel Adair aber herzlich egal sein. Weltweit haben sie bislang mehr als 50 Millionen Alben verkauft, und auch schlechte Presse ist gute Presse: Man bleibt im Gespräch.
Sicherheitshalber nehmen sie beim Konzert aber doch die schwermetallische Patenschaft von Pantera in Anspruch. Als Intro erklingt der Einspieler „Walk“, und der macht ganz klar, was hier gefordert wird: „Respect!“ Das erste Stück „San Quentin“ stammt vom aktuellen zehnten Album „Get Rollin’“, das der Tour ihren Namen gibt. Während Johnny Cash 1969 ins US-Gefängnis San Quentin einrückte, um für die Insassen zu spielen, inszenieren Nickelback ihren Ausbruch von dort. Steckbrieflich gesuchte Musiker auf Flucht vor Polizei über Highways bei wechselhaftem Wetter sieht das Storyboard diesmal vor.
„Savin‘ me“, „Far Away“ und „Animals“ vom Nickelback-Album „All the Right Reasons“ räumen ab
Das wird durchaus wohlwollend goutiert, kann aber nicht mit „Savin‘ me“, „Far Away“ und „Animals“ mithalten, dem Triple vom Überflieger-Album „All the Right Reasons“. 2005 erreichte Nickelback damit den Zenit des Erfolgs. Die Arena schwelgt in balladesker Erinnerung, taucht tief hinein in den melodischen Wellness-Pool, schmettert hingebungsvoll „You‘re faaa faaa away“. Um beim hämmernden Stakkato über „tierisch“ guten Sex im Auto so richtig abzugehen. Stimmt ja: Sexismus hat man Nickelback auch schon attestiert.
Das gelbe San-Quentin-Fluchtauto wird von Blitzen, Gewitterwolken und einem Phönix gehetzt, bei „Worthy to Say“ übernimmt Ryan Peake die Vocals und kann sich auf der sicheren Seite wähnen. Ihm hat noch keiner vorgeworfen, er sänge wie „ein brünstiger Hirsch“, und auch über seine Frisur hat sich noch nie jemand mokiert. Chad Kroeger hatte weniger Glück.
The Lottery Winners machen bei der Shanty-Version von Nickelbacks „Rockstar“ mit
„When We Stand Together“ macht sich für die in anderen Erdteilen stark, die schwächer sind als wir, „She Keeps Me Up“ hat Tourpremiere, „This Afternoon“ erinnert mit seiner Tea-Party-Attitüde ein bisschen an die Beatles. Beim Oasis-Cover „Don’t Look Back in Anger“ mischen The Lottery Winners aus dem Vorprogramm mit. Der britischen Indieband verdanken Nickelback die putzige Shantyversion von „Rockstar“, die bei TikTok durch die Decke ging. Müsste doch eigentlich auch die Hasskappenträger beeindrucken, die sonst immer die fehlende Bandbreite anprangern. Aber damit nun womöglich über neue Munition verfügen: „Shanty? Nee, das ist aber kein richtiger Rock!“ 13.000 Fans, Fronleichnam in der Kölner Arena, halten den Daumen hoch. Ihnen gefällt das. Die Band, die Musik und der Abend. Alles.