Essen. Der 33. Fall des Venedig-Commissarios kreuzt das üble Treiben von „Babygangs“ mit der dubiosen Rolle von Carabinieri im Irak-Krieg.

Manchmal fragt man sich ja doch, wie Donna Leon es seit 31 Jahren aushält mit diesem Commissario Brunetti. Dem melancholischen Wahrheitssucher, der sich Mal um Mal damit abfinden muss, dass die Welt schlecht, der Mensch böse und manchmal sogar so etwas Einfaches wie eine Pizza Margherita ungenießbar ist. Und obwohl Brunetti wahrscheinlich zu mindestens 99 Prozent einer Meinung ist mit Donna Leon, die beiden also nicht einmal miteinander diskutieren können, scheint sie nach wie vor fasziniert von ihm zu sein.

Vielleicht liegt es ja am wachsenden Altersunterschied. Brunetti, der im Deutschen zum ersten Mal vor 31 Jahren die Krimi-Bildfläche betrat, ist heute noch genauso alt wie damals. Ansonsten würde er sich vielleicht allmählich Gedanken über die Rente machen oder mit Enkeln auf der spektakulär schönen Dachterrasse über der Ecke Canal Grande/Rio di San Polo herumtollen.

Chiara und Raffi Brunetti sind seit drei Jahrzehnten Teenager

Aber nein: Chiara und Raffi, seine Kinder, sind immer noch Jugendliche, auch wenn sie schon mal über Studienorte jenseits von Venedig nachgedacht haben. Was immerhin im neuen, 33. Fall von Commissario Brunetti für den witzigsten Dialog des Romans sorgt. „Als die beiden, ohne um Erlaunis zu fragen oder wenigstens zu sagen, dass sie aufstehen wollten, aus dem Zimmer gelaufen waren, sah Brunetti zu Paola und fragte: ,Ist es zu spät, sie zu verkaufen?‘ Während sie die Teller abräumten, die die Kinder nicht zur Spüle getragen hatten, fragte Paola zurück: ,Würdest du einen gebrauchten Teenager kaufen?‘“

Bildprägend: Commissario Brunetti (Uwe Kockisch, li.) und Sergente Vianello (Karl Fischer).
Bildprägend: Commissario Brunetti (Uwe Kockisch, li.) und Sergente Vianello (Karl Fischer). © picture alliance / Nicolas Maas/ARD Degeto/dpa | Nicolas Maas

Und um Teenager, Jugendbanden, „Babygangs“ geht es auch ein bisschen in dieser „Feuerprobe“, die mit einem hollywoodreifen Showdown auf der Giudecca, der südlichen Insel im Stadtzentrum von Venedig endet. Es geht aber mehr am Rande um den Terror, den Jugendliche verbreiten, auch untereinander. Wie nebenbei decken Brunetti und seine Kollegin Claudia Griffoni einen Skandal auf, der sich um die Besetzung des Iraks durch die „Koalition der Willigen“, der auch Italien angehörte. Das Land sandte keine Soldaten, sondern Carabinieri, also die militärische Polizei des Innenministeriums – was nicht verhinderte, dass auch nach Italien Hunderte, ja Tausende von irakischen Kunstschätzen verschwanden.

In der angenehmen Gesellschaft von Brunetti, Griffoni, Signora Elettra oder dem Labor-Techniker Bocchese

Am Ende werden Brunetti, Griffoni und wir wissen, was sich da abgespielt hat im Irak. Und wie so oft bei Donna Leon werden Schuldige nicht oder nur halb bestraft, bleibt vieles unter der Decke, im Interesse des Staates, der Mächtigen, der Gewohnheit. Das Wissen, das wir so dazugewinnen, geht nicht tiefer als die tägliche Zeitungslektüre, aber man hat währenddessen immerhin Umgang mit den besseren Leuten. Mit Brunetti eben, Griffoni, Signora Elettra oder dem Labor-Techniker Bocchese, der schöne Bronze-Statuetten sammelt. Donna Leon jedenfalls scheint Augenblicke mit Brunetti zu sammeln, bei dem wir immer noch an Uwe Kockisch denken müssen.

Brunetti-Darsteller Uwe Kockisch, hier in einer Szene der Donna-Leon-Verfilmung „Stille Wasser“, feierte gerade seinen 80. Geburtstag. Die Verfilmungen der Venedig-Krimis durch die ARD endete 2019.
Brunetti-Darsteller Uwe Kockisch, hier in einer Szene der Donna-Leon-Verfilmung „Stille Wasser“, feierte gerade seinen 80. Geburtstag. Die Verfilmungen der Venedig-Krimis durch die ARD endete 2019. © picture alliance/dpa/ARD/Degeto | Nicolas Maack

Donna Leon: Feuerprobe. Commissario Brunettis dreiunddreißigster Fall. Aus dem amerikanischen Englisch von Werner Schmitz. Diogenes, 328 S., 26 €.