Köln. Die SK-Stiftung Kultur zeigt beeindruckende, schöne, wahre Bilder von Menschen im Herbst des Lebens – August Sander bis Cindy Sherman.
Noch nie waren die Alten so jung wie heute – und vielleicht sind auch die Jungen noch nie so schnell älter geworden wie in unserer Gesellschaft, in der Beschleunigung das Grundgesetz des Wirtschaftens, Arbeitens, Lebens zu sein scheint. Jenseits der Ziffern im Ausweis gilt: Man ist ja nicht nur so alt, wie man sich fühlt, sondern auch so alt, wie man gemacht wird. Von ästhetischer Chirurgie und Botox-Injektionen erst in jüngster Zeit, aber immer von der Gesellschaft, in der jemand lebt: Die Alten von früher wurden anders alt als die von heute, und die uralte Quadratur des Kreises, in der alle alt werden wollen, aber niemand alt sein möchte, führt heute zu 90-Jährigen, die in Jeans und Baseball-Cap ihr Cabrio spazierenfahren.
Cindy Shermans „Society Portrait“ und August Sanders Westerwälder Tanten
Das in jeder Hinsicht Komische daran sieht sich Cindy Shermans „Society Portrait“ von 2008 genauer an: Die 1954 geborene Fotografin selbst in der Rolle einer eleganten älteren Frau im schulterfreien Abendkleid mit Perlenklunkern und souverän unterkühltem Blick. Der überlebensgroße Maßstab des Foto-Abzugs lässt aber deutlich die Ausläufer der Schmink-Hochebene erkennen, mit denen die Falten der Dame überdeckt werden sollen. Das klassische Bruststück im Dreiviertelprofil lässt in den Augen an den Rändern des Hochmuts doch Unsicherheit erkennen, einen Menschen hinter der Maske, getrieben vom Ehrgeiz, die Spuren des Alters zu verwischen.
Weil Alter auch ein soziales Konstrukt ist, weit mehr noch als andere scheinbar naturgegebene Eigenschaften der Menschen, fällt es Reichen leichter, jung zu wirken. Auch das hat seine Grenzen, aber sie werden ständig erweitert, mit zitternden Übergängen zur unfreiwilligen Selbstparodie. In der Kölner Ausstellung „Blick in die Zeit – Alter und Altern“ ist Cindy Shermans Fotografie aber nur der erste große Blickfang.
Wilhelm Schürmann fotografierte die Menschen der Dortmunder Steinhammerstraße
Da sind nämlich auch die alten Landleute voller Stolz und Würde, ungeachtet ihrer Leiden und Bürde, die August Sander Anfang des 20. Jahrhunderts in seiner Westerwälder Heimat fotografiert hat. Da sind die selbstverständlich schönen, stolzen älteren Frauen, die in die Kamera von Natalya Reznik geblickt haben, als seien sie Models ohne Produktwerbung. Da sind die alten Nachbarn von der Dortmunder Steinhammerstraße, die Wilhelm Schürmann Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre schwarzweiß fotografiert hat und die mit ihren Kittelschürzen und zu groß gewordenen Anzügen wirken, als sei die Zeit 20 Jahre lang stehengeblieben.
Überhaupt ist ja die Fotografie das ideale Medium, den Augenblick verweilen zu lassen. Und aus vielen Augenblicken eine Zeitstudie zu machen wie die US-Amerikanerin Deanna Dikeman, die über 27 Jahre hinweg meist aus dem Auto heraus fotografierte, wie ihre Eltern nach Besuchen der Tochter Abschied von ihr nahmen: ein Winken durch die Jahrzehnte. Mit dem letzten Bild von der nunmehr leeren Auffahrt zum Haus wird es endgültig Vergangenheit und das Bild unendlich traurig. Aber: Das ständige Wachsen und Verändern ist die Bedingung, ohne die es kein Bleiben gibt. Nicht mehr zu altern ist der biologische Tod.
Gerhard Richter, John Baldessari und Mary Bauermeister im Porträt
Ähnlich wie bei Deanna Dikeman funktionieren die Langzeit-Serien von Andreas Mader, in denen junge Mütter allmählich zu Großmüttern werden und junge Männer manchmal unversehens schnell zu alten. Die vor wenigen Wochen verstorbene Helga Paris hat um 1980 Einsamkeit und unfreiwillige Nähe in DDR-Altersheimen abgelichtet; der in Essen ausgebildete Albrecht Fuchs dagegen Stolz, Lässigkeit und lange Jugend von Kunst-Menschen wie Gerhard Richter, John Baldessari oder Mary Bauermeister, aus deren verknittertem Gesicht die Augen jugendlich strahlen. Larry Sultan beobachtet seinen Vater, der im Alltag des Rückzugs vom Beruf versinkt, während seine Mutter als erfolgreiche Immobilienmaklerin gerade erst so richtig aufblüht.
August Sander hat gleich mehrere Auftritte. Neben dem Bild seiner drei Tanten, die zusammen 285 Jahre alt sind (und für die es früher das schöne Wort „Ömmaken“ gab), beeindrucken die beiden Porträts von „Herrn Krämer“: Das eine zeigt ihn 1913 mit stolzgeschwellter Ordensbrust in dem, was damals „die Blüte seiner Jahre“ hieß – 20 Jahre später sieht man ihn auf der Straße im Niedergang, vom Alter gebeugt, an zwei Stöcken, der Bart nun weiß statt grau.
Zur Ausstellung
„Blick in die Zeit – Alter und Altern im photographischen Porträt“. SK Stiftung Kultur, Im Mediapark 7, 50670 Köln. Bis 7. Juli.
Geöffnet: Tgl. (außer mittwochs) 14-19 Uhr.
Eintritt: 6,50 €, erm. 4 €. Erster Montag im Monat: Eintritt frei. Tel. 0221 / 888 95 300. www.sk-kultur.de
Ob das Alter früher wirklich mehr geehrt wurde als heute? Schon der „König Ödipus“ des Sophokles verkörpert nicht zuletzt eine Kritik an der damals aktuellen Politiker-Generation, die mit ihren schnellen, mutigen, ja strittigen Entscheidungen nach vorn drängte. Das bedächtige, auf Konsens erpichte Aushandeln der Älteren scheint schon damals eine Sache von gestern gewesen zu sein.
Ein berührendes Kabinett zum Thema Tod, das mit dem Alter ja immer unausweichlicher wir, rundet diese Ausstellung ab. Aus ihr geht man vielleicht nicht wie aus einem Jungbrunnen hervor, aber mit einem deutlich geschärften Bewusstsein fürs Alter.