Dortmund. Erschreckend nah an der heutigen Stimmung offenbart Ingo Kerkhofs Inszenierung tiefe Wahrheiten über die Natur des Menschen.

Er hat es als seine „Bibel“ bezeichnet und sich jahrzehntelang mit diesem Drama beschäftigt. Aber erst mit 84 Jahren begann György Kurtág, aus Samuel Becketts „Endspiel“ eine Oper zu formen. Als sie zur Uraufführung kam, 2018 an der Mailänder Scala, war er bereits 92 Jahre alt. Das Theater Dortmund hat das Spätwerk jetzt erneut in Szene gesetzt: als deutsche Erstaufführung und zum zweiten Mal überhaupt.

Publikum und Orchester nehmen auf der Bühne Platz, die hier zum nachtschwarzen Bunker wird. Mit Kunstrasen ist der Boden ausgelegt, auf dem sich Becketts verstörte Clowns wiedertreffen (Bühne: Anne Neuser). Sie, die nicht wissen, warum sie den Weltuntergang knapp überlebt haben, warten nun selbst auf das Ende: der blinde Hamm im Rollstuhl, sein gehbehinderter Diener Clov, das Ehepaar Nell und Nagg, das durch einen Unfall die Beine verloren hat und in Mülltonnen haust. Menschlicher Abfall, Wegwerfware.

Regisseur Ingo Kerkhof lässt auf der Bühne von Anne Neuser der Musik den Vortritt

Regisseur Ingo Kerkhof, studierter Philosoph und Literaturwissenschaftler, setzt ein konzentriertes Kammerspiel in Szene. Respektvoll lässt er Musik und Text den Vortritt, arbeitet mit Geduld heraus, wie und warum Becketts Figuren in auswegloser Situation voneinander abhängig sind. Bitterstoff erspart er uns nicht: Kurtágs 14 Szenen, die sich in 120 pausenlosen Minuten aneinanderreihen, kreisen um Einsamkeit und Sinnleere. Sie präsentieren aber auch tiefe Wahrheiten über die Natur des Menschen.

Am Pult der Dortmunder Philharmoniker zeigt Johannes Kalitzke mit hoher Kompetenz, welcher Reichtum in Kurtágs lakonischer Tonsprache steckt. Wie sie den Text aufgreift und verstärkt – oft kammermusikalisch, mit gestischen Qualitäten. Zwei Sänger, die bereits an der Uraufführung mitwirkten, geben dem Spiel ein starkes Rückgrat. Frode Olsen (Hamm) ist ein knorriger Alter, der Clov missgelaunt nach seiner Trillerpfeife tanzen lässt. Leonardo Cortellazzi (Nagg) singt ein herrlich textverständliches Französisch. Sein heller Tenor klingt ungemein natürlich, ja nachgerade unschuldig.

Dortmunds Kammersänger Morgan Moody trumpft als Diener Clov auf

An ihrer Seite trumpft Dortmunds Kammersänger Morgan Moody auf, der den Diener Clov spielt wie einen untoten Leporello. Ein Bein steif nachziehend, mit Verzweiflungsgrinsen im Gesicht, lässt er die Partie zwischen galligen und ratlosen Tönen schwanken. Ruth Katharina Peeck formt die etwas kleinere Rolle der Nell mit den warmen Farben ihres Mezzosoprans, bevor sie in die Tiefe ihrer Tonne versinkt. Erschreckend, wie genau der Tonfall dieser Ermatteten zur Stimmungslage unserer Tage passt.

Weitere Vorstellungen: 9. März, 1., 8. und 11. Mai. Karten und Termine: www.theaterdo.de