Dortmund. „Letzte Hilfe“ heißen Kurse, in denen Menschen lernen, wie sie Sterbende am besten begleiten. Das rät eine Hospiz-Mitarbeiterin.

Ein geliebter Mensch geht. Für immer. Für viele Angehörige und Zugehörige zählt diese Zeit zu den besonders herausfordernden. Wir sprachen mit Alexandra Hieck. Die 43-Jährige arbeitet beim Johannes-Hospiz in Münster, schult ehrenamtliche Begleiter und leitet „Letzte Hilfe“-Kurse in Dortmund und Münster, in denen es auch um die Frage geht: Wie kann man Menschen ein schönes Lebensende bereiten? Und wie verliert man sich dabei selbst nicht aus den Augen?

Was bewegt Menschen, die einen Sterbenden begleiten?

Viele Menschen, die einen Sterbenden begleiten, sind unsicher. „Sie haben Angst, dass sie etwas falsch machen“, sagt Alexandra Hieck. Diesen Menschen möchte sie Mut machen. Denn die letzte Zeit vor dem Lebensende kann mit all ihren Höhen und Tiefen noch eine sehr wertvolle sein, die auch später beim Trauern hilft. Es ginge darum, authentisch zu bleiben, sich nicht das Weinen, aber auch nicht das Lachen zu verbieten. „Humor ist ganz, ganz wichtig bei der Begleitung am Lebensende.“ Lachen lässt einen leichter werden, es löst. Im Hospiz werde in einem Zimmer geweint und im nächsten gelacht und Geburtstag gefeiert.

„Der Tod gehört zum Leben“, betont Hieck. Diese Haltung, dass das Sterben etwas Normales ist, kann auch helfen. Wichtig sei, dass man für den Sterbenden da sei. „Dieses Dasein hört sich so wenig an, aber es ist so viel.“ Bei dem Menschen zu sein und mit ihm den Moment auszuhalten. Und wenn man merkt, dass man es nicht kann, dann sollte man sich Unterstützung holen, zum Beispiel durch ehrenamtliche Begleiter.

Was bewegt Menschen, die selbst am Lebensende stehen?

Es ist wichtig, für den sterbenden Menschen da zu sein, so Hospiz-Mitarbeiterin Alexandra Hieck: „Dieses Dasein hört sich so wenig an, aber es ist so viel.“ Bei dem Menschen zu sein und mit ihm den Moment auszuhalten.
Es ist wichtig, für den sterbenden Menschen da zu sein, so Hospiz-Mitarbeiterin Alexandra Hieck: „Dieses Dasein hört sich so wenig an, aber es ist so viel.“ Bei dem Menschen zu sein und mit ihm den Moment auszuhalten. © privat | Privat

Was einem am Ende des Lebens wichtig ist, kann natürlich sehr verschieden sein. Viele möchten noch mal den „Zauber des Augenblicks“ leben, so Alexandra Hieck. Für sie wird dann zum Beispiel das Thema „Genuss“ wichtig, sie graben gedanklich alte Rezepte aus. Es gibt Menschen, die haben lange im Krankenhaus gelegen und blühen am Ende noch mal auf. Aber auch, wenn sie nicht den Moment genießen können: Ihnen ist es wichtig, dass sie einfach so sein können, wie sie sind, betont Hieck. Dass sie sich nicht verstellen müssen, dass man ihnen zuhört, dass sie über ihr Sterben sprechen dürfen. Und wenn ihnen ein ernsthaftes Interesse an der Lebensgeschichte entgegengebracht wird, dann „öffnen sich ganz viele Menschen noch einmal“.

Bei manchen sind auch Tiere ein Türöffner. „Ich denke an eine Dame, die aus der Ukraine nach Dortmund kam und ihre Hunde zurücklassen musste.“ Als diese Frau wieder einen Hund sah, hellte sich ihr Gesicht auf. Außerdem würden einige Schwerkranke noch mal alle Kräfte mobilisieren, wenn ein wichtiger Termin ansteht, um zum Beispiel bei der Hochzeit des Enkelkinds dabei zu sein.

Was kann man für Sterbende tun, damit sie sich wohlfühlen?

Da sein und zuhören ist das eine, das andere sind Kleinigkeiten, die das körperliche Wohlbefinden erhöhen. Man kann zum Beispiel eine Hand des Schwerkranken einreiben. „Dafür muss man kein Massage-Profi sein“, sagt Hieck. Voraussetzung ist natürlich, dass der Mensch Berührungen mag. Man muss auf das Individuum schauen, was ihm guttut. Dann kann auch ein Fußbad entspannen. Andere freuen sich über eine Mundpflege. „Sterbende Menschen haben oftmals einen ausgetrockneten Mund durch die Mundatmung.“ Zudem verstärken manche Medikamente das trockene Gefühl. „Angehörige machen sich dann Sorgen: ,Meine Mutter hat Durst.‘ Aber in Wirklichkeit ist das eine Nebenwirkung der Medikamente.“ Dann könne man den Mund ausstreichen und besprühen, etwa mit süßem Mandelöl, so Hieck. Das benetze die trockenen Schleimhäute und schaffe auch ein angenehmes Mundgefühl.

Am Lebensende möchte man noch einen Streit schlichten – ist das eine gute Idee?

„Manchmal kann man Dinge noch ansprechen, die einem auf dem Herzen liegen“, sagt Alexandra Hieck. „Wenn das auf beiden Seiten so gewünscht ist.“ Möchte der Sterbende den Austausch, fällt es trotzdem schwer, über womöglich jahrelange Konflikte zu reden. Da könne eine neutrale Person, eine ehrenamtliche Begleiterin oder ein Seelsorger hilfreich sein, so Hieck. Trotzdem: Das Gespräch bleibt herausfordernd, wenn da Gefühle hochkommen. Eine Versöhnung ist möglich. Aber: „Nicht immer werden am Lebensende alle Wogen geglättet. Man muss lernen, das zu akzeptieren.“

Woher nimmt man die Kraft, einen Sterbenden zu begleiten?

Einen geliebten Menschen beim Sterbeprozess zu begleiten, kann sehr kräftezehrend sein. Insbesondere, wenn man einen Angehörigen schon lange gepflegt hat. Auch kann man sich Hilfe holen, ehrenamtliche Begleiter einbeziehen, über die Palliativ-Netzwerke oder dem Ambulanten Hospizdienst. „Ich glaube, es ist hilfreich für viele Angehörige, wenn sie merken: Ich bin nicht alleine.“ Und dann kann man auch mal zum Sport gehen, zum Wochenmarkt, um wieder aufzutanken, während der Ehrenamtliche am Bett der pflegebedürftigen Frau sitzt. Hieck: „Nur wer gut für sich selbst sorgt, kann auch gut Sorge für andere tragen.“

Die Hand halten, die Hand eincremen, die Hand massieren – auch das kann einem todkranken Menschen helfen, sich wohler zu fühlen. Vorausgesetzt, er mag Berührungen.
Die Hand halten, die Hand eincremen, die Hand massieren – auch das kann einem todkranken Menschen helfen, sich wohler zu fühlen. Vorausgesetzt, er mag Berührungen. © Getty Images | evrymmnt

Nach dem Tod des geliebten Menschen braucht man vielleicht ebenfalls Unterstützung. „In unserer leistungsorientierten Gesellschaft haben viele das Gefühl: Mein Arbeitgeber verlangt von mir, dass ich am nächsten Tag schon wieder auf der Matte stehe und wieder voll funktionsfähig bin.“ Da rät Hieck, genau zu schauen, was man wirklich selbst braucht, wie viel Zeit man sich für die Trauer nimmt.

Wann weiß man, dass es nun wirklich zu Ende geht?

Es ist Zeit, Abschied zu nehmen. Doch dann vergehen Tage, Wochen, Monate. Wann weiß man, dass es wirklich zu Ende geht? „Da gibt es schon einige Indikatoren“, sagt Hieck. Wenn sich zum Beispiel ein Mensch zunehmend zurückzieht, weniger Interesse an der Umwelt hat, am Essen und Trinken. Zudem gebe es körperliche Zeichen, wenn Arme und Beine nicht mehr so gut durchblutet sind, wie marmoriert wirken. Oder sich die Fingernägel bläulich verfärben, es vermehrt zu Atempausen kommt und der Mensch nicht mehr so stark ausscheidet. Es sei die Summe aus mehreren Symptomen, die den Zeitpunkt vermuten lassen, so Hieck. Trotzdem empfiehlt sie, vorsichtig mit Prognosen zu sein. Denn selbst wenn ein Arzt sagt, dass der Vater Ostern nicht mehr lebt, könne es eben trotzdem sein, dass man das letzte Mal zusammen feiern kann.

Und dann verstirbt der Mensch, während man nur kurz den Raum verlässt

Ein Angehöriger holt sich nur mal eben einen Kaffee, kommt zurück ins Zimmer – und der geliebte Mensch ist verstorben. „Das habe ich auch ganz oft erlebt“, sagt Hieck. „Man sagt immer: ,Du musst nur loslassen können‘. Aber es ist ja gar nicht leicht, loszulassen, auf beiden Seiten. Wenn man jemanden liebt, will man gar nicht loslassen.“ Dann haben Angehörige vielleicht ein schlechtes Gewissen, weil sie in dem Moment nicht da waren. Und dann hadern sie: „Ich habe meinem Mann doch versprochen: Ich bin bei dir.“ Doch Hieck tröstet: „Manchmal kann es so sein, dass jemand verstirbt, wenn die Lieben gerade nicht im Zimmer sind.“ Vielleicht war es sogar sein Wunsch, alleine zu gehen? „Wie jede Geburt ist auch jeder Sterbeprozess und jeder Tod individuell.“

=> Letzte Hilfe – Hier geht es zu den Kursen

In der Dasa gibt es Letzte-Hilfe-Kurse am 28. Februar, 20. März, 17. April und 19. Juni, jeweils 11 bis 15 Uhr. Der Kurs ist kostenfrei. Anmeldungen nimmt der DASA-Besucherservice entgegen unter der Rufnummer 0231 9071-2645 oder per E-Mail besucherdienst-dortmund@baua.bund.de. Zudem kann man sich in einer Ausstellung in der Dasa, Friedrich-Henkel-Weg 1-25 in Dortmund, über Berufe im Gesundheitswesen informieren. Mo. bis Fr., 10 - 17 Uhr; Sa. und So., 10 - 18 Uhr: dasa-dortmund.de

Letzte-Hilfe-Kurse gibt es auch in anderen Städten. Dort lernen Menschen, wie sie Sterbende begleiten: www.letztehilfe.info