Essen. Helene Hegemann ist eine absolutes Jungtalent. Die heute 17-Jährige schrieb bereits mit 14 ein Drehbuch, mit 15 verfilmte sie dieses und "Torpedo" wurde von der Kritik gefeiert. Die junge Autorin spricht nun über ihr erstes Buch "Axolotl Roadkill".
Helene Hegemann ist erst 17 Jahre alt und kann bereits auf ein breites künstlerisches Werk zurückblicken: In Theater, Film und Buch setzte sie die Probleme des Heranwachsen um. WAZ-Redakteurin Britta Heidemann sprach mit ihr.
Sie haben ein Theaterstück geschrieben, einen Film gemacht – und nun ein Buch geschrieben. Was hat den Anlass gegeben für „Axolotl Roadkill“?
Helene Hegemann: Ich hatte Lust darauf, mich nach meinem Film, „Torpedo“, den Figuren, über die ich etwas berichten will, inhaltlich anders zu nähern, sie anders zu ergründen. Ich habe angefangen, etwas zu schreiben, und über eine Literaturagentin meinen Verlag gefunden. Damit hat sich das dann irgendwie professionalisiert.
Ihr Buch hinterlässt den Eindruck vieler Bruchstücke – ist die Zeit des Geschichtenerzählens jetzt endgültig beendet?
Das ist schon eine durchkomponierte Geschichte. Die Bruchstückhaftigkeit ist ein Teil ihrer Form. Ich würde mir auch nie das Recht herausnehmen zu behaupten, das Geschichtenerzählen in der Literatur wäre überholt. Was ich gemacht habe, inhaltlich als auch formell, würde ich als Experiment begreifen. Ich habe aber keine Ahnung, ob das ankommt, ob es funktioniert und in irgendeiner Art massenkompatibel ist.
Haben Sie Angst vor Reaktionen, die Ihren Roman als reine Autobiografie begreifen?
Ja, absolut. Weil er es erstens nicht ist und ich mich zweitens dabei so fühle, als würden mir dadurch bestimmte Fähigkeiten aberkannt Abgesehen davon, dass die Figur dieselben Grundvoraussetzungen hat wie ich selbst, hat es nichts mit meinem Leben und meinen Erfahrungen der letzten Jahre zu tun. Ich muss da die Leser leider enttäuschen.
Aber so ganz fern ist Ihnen ihr eigenes Werk sicher auch nicht?
Es gibt bestimmte Probleme und Fragestellungen, die in meinem Leben eine Rolle spielen und die ich im Rahmen dieses Buches verhandele. Es ist in einem bestimmten Kontext angesiedelt, in einer etwas düsteren Welt. Eigentlich geht es um Leute, die keine Lust mehr haben, sich an bestimmten Konventionen abzuarbeiten, die etwas anderes wollen. Was aber auch ganz viel mit Qual und Selbstverletzung zu tun hat, weil man eben einen hohen Preis dafür bezahlt, frei zu sein. Und direkt als asozial und nicht gesellschaftsfähig eingestuft wird. Es ist nicht vorgesehen, sein persönliches Glück oder so was wie Erfüllung in Zusammenhängen zu suchen, die eigentlich verpönt und nur mit Exzessen oder großem Leid verbunden sind.
Das habe ich nicht verstanden… Wie soll dieses Leben voller Drogen und Betäubung, das Sie beschreiben, funktionieren, ohne dass es mit Leid verbunden wäre?
Das ist eben diese These, in der es nicht konkret darum geht, zu zeigen, wie Leute Heroin nehmen – es geht um Heroin als Metapher. Alle schreien sofort auf und meinen, das wäre die Spitze der Verwahrlosung, dabei muss man es auch als etwas anderes beleuchten. Glück ist doch so etwas Relatives. Ich wünsche mir eine größere Ambiguitätstoleranz also, dass man für Widersprüchlichkeiten ein besseres Gefühl kriegt. Das ist als Aufbruch gemeint.
Ich finde aber das Ende doch sehr negativ und bin ganz überrascht, dass sie es so positiv deuten?
Natürlich ist das Ende negativ! Meine Figur durchläuft lauter Entwicklungen, die gemeinhin als negativ gekennzeichnet sind. Der Unterschied ist, dass sie sich bewusst dafür entscheidet. Sie könnte sich davon distanzieren, macht es aber nicht – weil sie darin etwas anderes erkennt, etwas Wichtigeres. Auch wenn sie nicht genau weiß, was. Das ist, glaube ich, ein Statement, zu dem man sich als Leser verhalten muss. Das ist auch keine existenzielle Leere, die Leute, die ich beschreibe, wissen schon, was sie wollen.
Das heißt, Sie wollen das Verständnis Ihrer Leser hierfür fördern?
Ich will eigentlich wirklich nicht, dass irgendjemand das liest und sich dann etwas denken muss dabei. Das ist als Unterhaltungsroman gedacht. Ich habe das geschrieben, weil es mir Spaß gemacht hat. Wir leben eben im Zeitalter der Widersprüche, wo nichts klar definiert ist und man gleichzeitig auf verschiedenen Seiten stehen kann, ohne dass es groß auffällt, und das eigentlich auch muss. Man ist dazu gezwungenen, sich differenzierter zu bestimmten Themen zu verhalten, und das ist vielleicht die Quintessenz des Romans. Obwohl sich das schon wieder ganz schrecklich anhört.
Sie haben Ihre Kindheit in Bochum verbracht, sind mit 13 Jahren nach Berlin zu Ihrem Vater gezogen – wie war Ihre Zeit hier?
Ich hatte arge Schwierigkeiten, was vielleicht gar nicht an Bochum gelegen hat, sondern an dem Kontext, in dem ich groß geworden bin… Irgendwie hat mich diese Stadt nicht leben lassen, nicht das äußern lassen, was ich gerne geäußert hätte. Als ich nach Berlin kam, das war ein Befreiungsschlag. Ich habe gemerkt: Ich bin nicht verrückt, ich habe nur zufällig in der falschen Umgebung gelebt.
Was hat Sie hier genau gestört?
Das hatte glaub ich nichts mit dem Ort an sich zu tun, sondern mit der Verzweiflung, die man verspürt sobald man elf wird und zum ersten Mal darüber nachdenkt was das eigentlich soll, diese ganze Welt und das Leben. Wenn man gleichzeitig nicht genug Gegenbeispiele hat für das, was einem in der Gesellschaft immer so standardmäßig vorgelebt wird, ist das schon ganz schön anstrengend. In Berlin wird niemand verachtet, weil er eine abweichende Weltanschauung hat. Ich habe hier Menschen getroffen, von denen ich mich das erste Mal erkannt gefühlt habe. Es hat mich erstaunt, dass da plötzlich Leute waren, die mir ähnlich waren. Ich habe das erste Mal gedacht, alles, was ich empfinde, ist völlig ok so.
Sie werben für Ihr Buch auf MySpace mit einigen Trailern, wird Ihr nächstes Projekt wieder ein Film?
Ja, ich habe jetzt einfach große Lust, einen Film zu machen, weil mir der Vorgang, einen Roman zu schreiben, irgendwie autistisch vorkam. Da fehlten mir die Zufälle, die immer eine Rolle spielen, wenn man mit 40 Leuten an einer Sache arbeitet. Schreiben war ein komischer, nüchterner Prozess, der irgendwann einfach keine Überraschungen mehr barg leider.
Gibt es eine Lesetour?
Nein, ich finde es immer schrecklich, anderen Menschen dabei zuzugucken, wie sie ihre Bücher vorlesen, da will ich niemanden mit belästigen.