Köln. Show total: Beim Auftritt in der Kölner Lanxess-Arena fällt Rapper Alligatoah mit musikalischem Riesen-Talent und verrückten Requisiten auf.

Orange steht für das Leben, es hellt die Stimmung auf und stimuliert. Orange verheißt Stärkung, Fröhlichkeit und Jugend. Auch Alligatoah mag Orange. In der Lanxess-Arena in Köln, beim ausverkauften Konzert vor 16 000 Fans, zeigt der 34-Jährige diese Vorliebe ausgiebig. Sein Käppi ist orange, sein Schlips ist orange, die Mitglieder seiner Band tragen Schutzwesten mit reflektierenden Streifen, in denen sie aussehen wie Bauarbeiter oder Müllmänner.

Später werden auch noch Abfalltonnen im Farbton reifer Mandarinen über die Bühne rollen. Aber da ist der Erfolgsrapper aus Niedersachsen schon beim sechsten Stück – „Lass liegen“ – und dem Geständnis, dass er es mit dem Trennen von Müll nicht so sehr hat. Wesentlich ausgeprägter dagegen: sein Talent für Inszenierungen, für den Einsatz origineller Requisiten und für Zitate aus Musik, Film und Literatur. Was man schon von den Videos weiß, an deren Produktion der gelernte Mediengestalter Bild und Ton maßgeblich beteiligt ist.

Alligatoah surft in der Zwei-Stunden Show durch seinen gesamten Katalog

Davon, in Kombination mit genetischer Vorbelastung – Alligatoah, der mit bürgerlichem Namen Lukas Strobel heißt, kam als Sohn einer Tänzerin und eines Schauspielers zur Welt – profitiert der Abend unbedingt. Er kommt als unterhaltsame, etwas über Zwei-Stunden-Show rüber, als Mix aus Konzert, Theater und Kabarett, Pantomime, Tanz und Akrobatik, eingedeutschtem Gospelgottesdienst, Soziologieunterricht im Schnelldurchgang und Anleihen aus der Arbeitswelt.

Alligatoah und seine „Fließ-Bänd“ in der Kölner Lanxess-Arena.
Alligatoah und seine „Fließ-Bänd“ in der Kölner Lanxess-Arena. © Thomas Brill | Thomas Brill

Mal haspelt sich Alligatoah im Affentempo durch seine Texte, mal garniert er sie mit tragischen Tremoli und schwingt sich empor zum opernreifen Belcanto. „I like sex, drugs, rock’n roll“ skandiert seine Gefolgschaft, so als sei das Teil eines Gebets, sie brüllen „Fick ihn doch“, als verhieße das ihnen Erlösung und lauschen den Botschaften des Meisters, die da lauten: „Erstens: esst weniger Menschen. Zweitens: Warme Socken im Winter. Und drittens. Zu Hause ist immer da, wo Alligatoah ist.“

In der Mitte der Bühne läuft ein Fließband im Kreis – Goldene Kuh in Plastik

In „Feinstaub“ schimmert ein rosenstolzverwelktes „Liebe ist alles“ auf, bei „Alli-Alligatoah“ reitet der Protagonist nicht, wie in der Goethe-Ballade, auf einem Ross durch Nacht und Wind, sondern auf einer goldenen Kuh, die in Plastik verpackt ist. Die mittlerweile auf deutschen Bühnen obligatorischen Flammenfontänen kommen in Gestalt von feuerspuckenden Gartenzwergen vor, die aussehen, als seien ihnen die Zigarren in den Mündern in Brand und außer Kontrolle geraten. Auch Nichtraucher Alligatoah raucht. Aber er tut nur so, weil das so cool aussieht, wenn man die Asche abschnippt und dabei Sätze sagt, die alle mit „Baby“ anfangen, aber alle gar nicht nett gemeint sind.

Alligatoah-Fans in Köln.
Alligatoah-Fans in Köln. © Thomas Brill

Er ruft auf zum kleinen Power Nap im Mosh Pit, verwandelt seine „Fließ-Bänd“ kurzzeitig in eine Metal-Combo, die grufti-grollend „Monet“ verrockt, leider ohne Sido (beim Original Alligatoahs Co-Rapper) und schickt zur oberbayrisch anmutenden „Du bist schön“-Gaudi Mitarbeiter Basti mit kreuzförmig überm nackten Oberkörper verschlungenen Ledergurten aufs Band, in Gesellschaft einer ganzen Truppe von Schaufensterpuppen im Schicki-Micki-Look.

Alligatoah mit der Akustik-Gitarre, Mexikaner-Hut und einem rätselhaften Abgang

Akustisch mit Gitarre spielt er „Nebenjob“ und „Nicht adoptiert“ vom letzten Album „Rotz & Wasser“ (2022), entdeckt vor „Wie zuhause“, ganz zufällig, ein Klavier und zaubert zur letzten Zugabe, dem „Trauerfeier Lied“, gar noch ein ganzes Orchester aus dem mexikanisch anmutenden Hut, den er nun statt Käppi trägt. Bester Spruch des Abends: „Wenn ihr auch die Schnauze voll habt von der ganzen Social Media – folgt mir: ich poste nix.“

Aligatoahs Abgang gestaltete sich allerdings mysteriös. Köln war das Finale der „Retour“-Tournee, und so gab es noch einen Paukenschlag: Beim „Trauerfeier-Lied“ verließ der Chef-Irritator die Bühne und ließ nur noch ein Grabkreuz auf der Leinwand sehen: „Gern geschehen 1989 – 2023“ war da zu lesen – Fans kennen das aus dem Video. Und lange war gerätselt worden, was denn 2023 geschehen soll. Aber immer noch ist unklar, was passiert: Bis auf das Grabkreuz-Bild sind sämtliche Inhalte auf TikTok und Instagram verschwunden. Aber das „Trauerfeier Lied“ in der gestern in Köln aufgeführten Orchester-Version gibt es digital: https://alligatoah.lnk.to/TrauerfeierliedOrchester