„One For the Road“ ist kein üblicher Alkoholiker-Film, „Die unglaubliche Pilgerreise des Harold Fry“ gute England-Werbung und „The Lesson“ bizarr
„One For the Road“
Ein deutscher Film, der in deutscher Übersetzung besser mit „Einen noch für unterwegs“ betitelt gewesen wäre. Frederick Lau spielt Mark, tagsüber Bauleiter, abends Partylöwe im alkoholischen Überdosismodus. Nach einem Zwischenfall mit der Polizei muss er zu den anonymen Alkoholikern und trifft dort auf Helena, mit der er sich im späteren Verlauf des Films zu einem kalten Entzug aufraffen wird.
Das Problem von Alkoholikerfilmen ist es auch diesmal, dass die Protagonisten zu einem Zeitpunkt eingeführt werden, an dem Leute, die noch nicht ganz der Trinksucht anheimgefallen sind, sagen werden: So wird das bei mir nie. Weil sie sich nicht angesprochen fühlen. Und die sich angesprochen fühlen müssten, sind leider schon im Koma. Abgesehen davon kommt im neuen Film von Oliver Ziegenbalg (Drehbuch) und Markus Goller (Regie) viel Ordentliches zusammen. Beide haben schon einiges geleistet, nichts davon war schlecht und manches („25 km/h“, „Friendship“) war richtig gut.
Ziegenbalg bietet zwar nichts Neues an Situationen und Figuren auf; trotzdem interessiert man sich die meiste Zeit dafür, und das will erst einmal geschafft sein. Gollers Regie hält das Tempo beständig unter Dampf, er schafft es aber auch, den dauerhaft hyperventilierenden Frederick Lau an der kurzen Leine zu halten und deshalb besser aussehen zu lassen, als man erhoffen durfte. Und es gelingt ihm, Nora Tschirner als Sarkasmusdiva Helena zu ihrer besten Schauspielleistung zu führen. Das lohnt sich, vor allem für unterwegs.
„Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry“
Dürfte das englische Tourismusbüro Filmpreise vergeben, so wäre „Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry“ ein heißer Anwärter auf den Hauptgewinn. Denn der Titelheld des Films wandert einmal quer von Südwest nach Nordost durchs meist schön anzuschauende England. Und Jim Broadbent in der Titelrolle sieht dabei oft so aus als wolle er Tom Hanks als Forrest Gump in der Rolle des Harold Fry spielen. Fry, ewig verheiratet mit einer traurigen Frau Maureen (Penelope Wilton), zu Hause in einer traurigen Wohnung (in der der Kamera die stärksten Bilder gelingen), bekommt einen traurigen Brief von einer ehemaligen Arbeitskollegin Queenie, die hoch oben im Nordosten im Hospiz dem Tode entgegensieht.
Harold Fry verfasst eine Antwort, schickt sie aber nicht ab, sondern geht am Briefkasten vorbei und nach kurzem Plausch mit einer punkigen Tankstellenbedienung mehr oder weniger schnurstracks nach Nordostengland zu Queenie. Seine Frau bleibt ratlos zurück, versucht die Fassade aufrecht zu erhalten und scheitert dabei langsam und zu ihrem Glück.
Immerhin scheint England noch immer gesegnet mit guten Menschen und funktionierenden Telefonzellen, so dass Harold sich ab und an mal melden kann auf seinem 1000-Kilometer-Marsch, auf dem wir in Rückblenden mehr und mehr über die Stationen des Lebensweges von Harold. Maureen und Queenie erfahren. Amüsant wird es auch, etwa wenn Frys Pilgerreise medial ausgeschlachtet und aus seiner einsamen Wanderung ein Massenprotest wird.
Der Film folgt den Spuren des gleichnamigen Romans von Rachel Joyce sehr werkgetreu, lediglich das Ende wird milde verändert und so wird das Werk von Regisseurin Hettie MacDonald im besten Sinne zum Seniorenkino. Was nicht nur für die Besetzung, sondern leider auch für die eher betuliche Bebilderung der durchaus anrührenden und phasenweise komischen Geschichte gilt.
„The Lesson“
Liam, gut aussehend, selbstbewusst und gesegnet mit einem fotografischen Gedächtnis fürs geschriebene Wort, heuert als Aushilfslehrer für den arroganten Sohn des noch ungleich arroganteren Schriftstellers Sinclair an. Dessen Frau macht Liam bald schöne Augen. Und schon zappelt Liam im Räderwerk der Sinclairs...
Eine nette, kleine Stilübung für Freunde des Makabren, wie es Roald Dahl in seinen Kurzgeschichten zelebrierte, ist diese filmische Unterrichtsstunde aus England. Regie und Drehbuch probten ihr Handwerk bislang im Seriengeschäft, was auch ein Grund dafür sein kann, dass die visuelle Atmosphäre viel Luft nach oben lässt. Die Darsteller retten den Tag. Daryl McCormack variiert seine Callboy-Rolle aus „Meine Stunden mit Leo“ als durchtrainiertes Schnittchen mit unverbindlicher Gesichtslandschaft. Julie Delpy, fernab früherer Lieblichkeit, mimt die kontrollierte Matrone, die auch im Bett die Contenance bewahrt. Und Richard E. Gant kultiviert seine naturgegebene Blasiertheit, auch wenn ihm etwas mehr Selbstdisziplin gut getan hätte. Wie der ganze Film. Er berauscht sich an seiner Schrillheit und wir Sterbliche schauen halt zu.