Essen. Von Obdachlosen mit Zylinderhüten in New York 1920 bis zu Frauen im Polen unserer Tage: Proteste war zu allen Zeiten. Und manchmal sogar bei C&A.
„Fridays for Future“ gab es so ähnlich früher auch schon: Man macht sich heute kein Bild mehr davon, wie viel Protest, wie viele Demos, ja wie viel Randale da in der ach so biederen Adenauer-Zeit schon
war. 1951 etwa demonstrierten 50.000 Vertriebene dicht gedrängt in Bonn auf dem Marktplatz gegen den Entwurf der Bundesregierung für einen „Lastenausgleich“, also eine Art Entschädigung für alles, was im Osten zurückgelassen wurde. Im gleichen Jahr demonstrierten dort Studenten gegen Justizwillkür in der „Sowjetzone“, die damals eigentlich schon DDR hieß. Ein Jahr zuvor gab es eine Demo gegen die Benzinpreiserhöhung, Lkw-Fahrer hatten eine Sternfahrt organisiert.
Richtig dramatisch aber wurde es vor C & A Brenninkmeyer am 20. Juni 1953, nachmittags in München: Frauen in Kostüm oder Kleid, Handtasche am Arm und Männer im Anzug versperren den Zugang zum Kaufhaus, aus Protest gegen den Versuch, an diesem Samstag länger als bis 14 Uhr zu öffnen. Drinnen: 100 Polizisten. Draußen, rings um die 10.000 Demonstranten, sind weitere 250 Kriminalbeamte. Und dann rückt das Überfallkommando an, prügelt sich und wehrmachtartigen Helmen unter Sirenengeheul den Weg frei. Aber die 10.000 Protestler wollen nicht weichen.
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Rafał Milach, Magnum-Fotograf und Aktivist, pflegt ein Archiv des öffentlichen Protests
Zu sehen ist die Szene jetzt in einer Foto-Ausstellung des Museums Folkwang, zusammen mit anderen Demo-Fotos aus dem Archiv des Essener Verlagshauses Girardet, das zwischen 1965 und 1988 rund 100.000 Pressefotografien gesammelt hat. Auch das einer Demonstration von Obdachlosen 1920 New York, die „in einem merkwürdigen Aufzug in Cylinderhüten“ einherschreiten, wie auf der Bildrückseite treffend vermerkt ist – der amerikanische Diplomat und Aktivist Urbain J. Ledoux („Mr. Zero“) hatte sie damit ausgestattet und wollte damit die Wohlhabenden auf das Elend vor ihrer Haustüre aufmerksam machen.
Anlass, in diesem Archiv zu blättern, bot der jüngste Ankauf des Museums Folkwang mit Mitteln der Stiftung Presse-Haus NRZ: Das Museum erwarb große Teile von jenem „Archiv des öffentlichen Protests“ (Archive of Public Protest), das der polnische Magnum-Fotograf Rafał Milach gemeinsam mit einem 18-köpfigen Kollektiv von den Demonstrationen der letzten Jahre in seinem Heimatland Polen angelegt hat: gegen die Verschärfung des Abtreibungsrechts, gegen den russischen Überfall auf die Ukraine und die Repressalien in Belarus, für eine unabhängige Justiz und eine nachhaltige Klimapolitik. Das ist, jenseits von Protestzeitungen (deren neuste in der Ausstellung ausliegt), alles digital. Und im Folkwang-Souterrain auf Bildschirmen zu sehen. Eine einsame Frau vor einer Mauer aus Polizeischilden etwa oder immer wieder der rote Blitz, der zum Symbol der Protestbewegung wurde.
Rafał Milach begreift sich nicht als neutraler Fotograf, sondern als Aktivist, dem an einer „360-Grad-Kommunikation über elementare Dinge, Menschenrechte und Klimakrise“ gelegen ist. Ohne Romantisierung: „Fotografie ändert nicht die Welt, aber in einer Kombination mit anderen Handlungsweisen kann sie es.“
Rafał Milach: The Archive of Public Protests. Museum Folkwang, Museumsplatz 1, 45128 Essen. Geöffnet: Di-So 10-18 Uhr, Do/Fr bis 20 Uhr. Zugleich ausgestellt sind sehr sehenswerte Aufnahmen von vier Preisträgern der Wüstenrot-Stiftung, die junge Dokumentarfotografie ausgezeichnet hat.