Essen. Mangas und der TikTok-Trend #BookTok bringen großen Zulauf in Buchläden. Lesen Sie, wie sie neue Leser gewinnen und was Netflix damit zu tun hat.

Die Zahl der Manga-Neuerscheinungen hat sich in fünf Jahren verdoppelt.

Oft übertreffen die Verkaufszahlen von Mangas die von allen anderen Comics.

Netflix-Verfilmungen von Mangas beschleunigen das Wachstum.

#BookTok generiert pro Monat 300 Millionen Videoaufrufe in Deutschland.

Stars wie Colleen Hoover sind durch #BookTok erst groß geworden

Neue Leser kommen in die Buchhandlungen.

Wer sich ein wenig Zeit nimmt, durch die Buchhandlungen zu streifen und die Augen offen hält, wird beinahe überall zwei Veränderungen bemerken: Die klassischen Comic-Regale sind bis auf wenige Titel zusammengeschrumpft, während ihr Platz von Mangas eingenommen wird. Und: Fast überall finden sich Tische oder Regale mit der Aufschrift #BookTok, der Untergruppe des Sozialen Netzwerks TikTok, die sich mit Büchern und Literatur beschäftigt.

Buchhändler bestätigen den Erfolg der Mangas

Experten für Mangas und andere Comics: Markus Pfeffer vom Comicshop Weltflucht und seine Mitarbeiterin Sari Kunath.
Experten für Mangas und andere Comics: Markus Pfeffer vom Comicshop Weltflucht und seine Mitarbeiterin Sari Kunath. © FUNKE Foto Services / Klaus Pollkläsener | FUNKE Foto Services / Klaus Pollkläsener

Mangas und #BookTok-Titel gehören zu den absoluten Erfolgsgeschichten der Buchbranche der vergangenen Jahre. Das lässt sich auch an Zahlen festmachen: Während 2017 in Deutschland laut Börsenverein des Deutschen Buchhandels noch 1303 Mangas neu erschienen, waren es 2022 bereits 2706 neue Titel, das bedeutet eine Verdoppelung der Neuerscheinungen. Eine Entwicklung, die auch die Händler bestätigen können. Markus Pfeffer vom Bochumer Comic-Shop Weltflucht, wo sich viele Regalmeter Comics und Mangas aneinanderreihen, hat den Manga Day gleich genutzt und in den vergangenen Tagen eine ganze Manga Woche veranstaltet: „Ich beschäftige mich seit 25 Jahren mit Comics, aber es ist faszinierend, dass das Segment Manga seit 25 Jahren kontinuierlich wächst. In den letzten Jahren konnte man noch mal einen Sprung nach vorn verzeichnen. Das liegt daran, dass es jetzt eine Art zweite Generation gibt. Das sind diejenigen, die in den 90er-Jahren selbst Kids waren und mit Mangas aufgewachsen sind. Einerseits entdecken sie jetzt die Mangas wieder, andererseits haben viele von ihnen jetzt selbst Kinder und entdecken die Mangas gemeinsam mit ihnen noch einmal.“

Soziale Medien als Erfolgsfaktor der asiatischen Comics

Der Wandel geht natürlich nicht an dem Comic-Shop vorbei, der erst im Dezember 2020 während der Pandemie eröffnet hat. „Der Manga-Bereich wächst definitiv und auch bei uns im Laden. Wir sind tatsächlich gestartet mit einem Sortiment, das die Bereiche europäische, amerikanische, asiatische Comics gleichberechtigt behandelt, auch vom Platz her. Aber es hat sich in kürzester Zeit herausgestellt, dass Mangas bei uns die beiden anderen Segmente zusammen übertreffen.“

Buchhändlerin Julie Schwimanns von Schmitz Junior in Essen.
Buchhändlerin Julie Schwimanns von Schmitz Junior in Essen. © Privat | Privat

Dieser Trend macht sich nicht nur im Comic-Fachhandel bemerkbar, auch im normalen Buchhandel, wie Julie Schweimanns vom Essener Buchladen Schmitz Junior zu berichten weiß: „Bei uns in der Kinderbuchhandlung haben die Mangas seit einem Jahr, seitdem wir sie im Sortiment haben, deutlich zugenommen. Wir haben viele Schüler zwischen 13 und 18 Jahren, die sie sich selbstständig angucken. Aber es gibt auch jüngere. Es sind bei uns größtenteils Klassiker, die es seit 20, 30 Jahren laufen, Titel wie ,Naruto‘ oder ,One Piece‘. Und bei uns hat der ganze Romance- und New-Adult-Bereich zugenommen, der ist im letzten Jahr auch noch einmal durch TikTok gewachsen.“ Letzteres werde meist von Mädchen und Frauen gelesen. Und mittlerweile laufen zig Manga-Serien auf Streaming-Diensten, "One Piece" etwa auf Netflix - und natürlich interessieren sich auch die Leser für die Orginale...

TikTok-Segment #BookTok übertrifft alle Vorstellungen

Die Verbindung zu den Sozialen Medien ist in den vergangenen Jahren zu einem entscheidenden Erfolgsfaktor für den Buchhandel geworden, doch wo Bookstagram und Booktube noch einen überschaubaren Effekt hatten, sprengt das TikTok-Segment #BookTok alle Vorstellungen. Weltweit wurde der Hashtag #BookTok bisher mehr als 130,5 Milliarden (!) Mal aufgerufen, allein in Deutschland erzielt #BookTok pro Monat 300 Millionen Video-Aufrufe.

Seit April werden von Media-Control und TikTok gemeinsam #BookTok-Bestsellerlisten aufgestellt. Und die meisten Buchhandlungen haben eigene Tische und Regale mit #BookTok-Dauerbrennern aufgestellt. Darunter sind Bücher wie Matt Haigs „Die Mitternachtsbibliothek“ oder netzaffine Titel wie „101 Essays, die dein Leben verändern werden“. Im ersten Halbjahr wurden vier Millionen Bücher in Deutschland durch #BookTok verkauft.

Superstar der Verkaufszahlen: Colleen Hoover

Erfolgsautorin Colleen Hoover hat 20 Millionen Titel verkauft.
Erfolgsautorin Colleen Hoover hat 20 Millionen Titel verkauft. © picture alliance / Evan Agostini/Invision/AP

Am augenfälligsten wird der enorme Einfluss, wenn man sich die „Young Adult“-Autorin Colleen Hoover anschaut. Sie hatte ihre ersten Bücher 2012 noch im Selbstverlag veröffentlicht, hatte 2016 mit „It Ends With Us“ einen kleinen Durchbruch, aber erst mit der Pandemie und #BookTok wurde sie zum Superstar der Verkaufszahlen: Sie stellte 2020 fünf ihrer bisherigen Titel online und verkaufte laut Spiegel damals zunächst respektable 237.000 Bücher. Dann kam #BookTok – und sie hatte Ende 2022 gut 20 Millionen Exemplare ihrer Bücher verkauft, dabei laufen nicht nur die neuen Titel. Kundschaft: meist jüngere Leserinnen.

Das Phänomen #BookTok ist interessant für die Verlage: „Es passiert ja noch etwas Neues, dass Leserinnen und Leser ihre Eindrücke schildern, Empfehlungen geben – und damit eine sehr, sehr große Reichweite erzielen“, sagt Markus Fertig, Manager vom Frankfurter MVB-Verlag und #BookTok-Experte. Durch die neuen Medien ergeben sich neue Zielgruppen: „Da kommen auf einmal Leute in den Buchladen, die vorher einen Bogen drum herum gemacht haben“, so Fertig. Und damit schafft der Buchhandel, was andere Branchen sich im digitalen Wandel nur wünschen können: die Erschließung neuer Zielgruppen.