Oberhausen. Das Publikum ist immer ganz nah dran: Dem jungen Andreas Widenka gelingt ein neuer Zugriff auf den Bühnenrenner – mit gravierenden Folgen.
„Kunst“: Das ist zunächst einmal eine sichere Bank beim Werben um die Publikumsgunst: Schließlich handelt es sich hier um das Stück, mit die Autorin Yasmina Reza sich als Virtuosin der gepflegten Eskalation etablieren konnte. Keine bringt den dünnen Firnis der Bildungsbürgerlichkeit so lustvoll zum Bersten wie sie. Spätestens seit der prominent besetzten Verfilmung von „Gott des Gemetzels“ ist sie auch außerhalb der Bühne eine feste Größe.
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Dennoch gelingt Andreas Widenka (Regie) aller Erwartbarkeit zum Trotz ein unerwartet erfrischender Zugang. Er lädt das Publikum in das Café des Theaters Oberhausen, das Programmheft wiederum lädt dazu ein „genüsslich bei einem Glas Wein oder Bier“ zu verfolgen, wie eine Männerfreundschaft kunstvoll dekonstruiert wird (da bekommt der Begriff Süffisanz gleich eine ganz neue Dimension). Die Freunde, das sind Serge (Torsten Bauer), Dermatologe und Kunstliebhaber, Marc (Jens Schnarre), Ingenieur und Choleriker, und Yvan (Daniel Rothaug), erfolgloser Textilvertreter mit Heiratsabsichten.
Torsten Bauer, Jens Schnarre und Daniel Rothaug mit perfektem Timing
Der Konflikt entfacht sich an einem weißen Bild mit weißen Streifen, das ersterer zu einem Preis erworben hat, der bei zweiteren einen unkontrollierten Lachanfall auslöst, während der dritte sich bemüht, die „Vibration“ des Gemäldes nachzuvollziehen. Das könnte sich in gehobenem Klamauk verlieren. Hier allerdings erleben wir den Glücksfall, dass ein talentierter junger – tatsächlich dem Seminarraum entschlüpfter – Regisseur auf routinierte Mimen trifft, die mit fein differenziertem Ausdruck und perfektem Timing auf dem feinen Grat zwischen Witz und Albernheit balancieren.
Die Schauspieler wechseln im Raum, immer in der Nähe zum Publikum
Die Liste der Inszenierungen, die das Publikum einzubeziehen versuchen, ist lang – selten gelingt das so federleicht und unerzwungen wie hier. Ebenso schnell wie die Koalitionen zwischen den Kontrahenten wechseln deren Standorte im Raum: Wegducken geht nicht. Während zwei auf der Bühne streiten, sieht man dem dritten aus unmittelbarer Nähe beim Räsonieren, Schmollen oder Mordgedanken schmieden zu. Die Bühne (David Camargo), das ist ein schlichtes, mehrstufiges Holzpodest an der Kopfwandwand.
Der Clou: Das umstrittene Kunstwerk ist nur ein leerer Rahmen. Das wiederum ist nur konsequent, schließlich geht es hier nicht um Kunst, sondern um die tektonischen Verschiebungen innerhalb des Beziehungsaufbaus und die daraus resultierenden Kränkungen: Serge, immer ein bisschen mehr in seinen vermeintlichen Kunstsinn als in das künstlerische Objekt verliebt, entspricht nicht mehr dem Bild, das der lodenbemantelte Traditionalist Marc sich von ihm gemacht hat. Dazu Yvans – bislang das Maskottchen der beiden gut situierten Akademiker – Versuch, sich durch Einheiraten in den Papiergroßhandel zu etablieren.
Unausweichliches Beben, euphorischer Beifall
Das unausweichliche Beben fällt heftig aus. Akteure, Regie und nicht zuletzt die überraschende Schlusspointe werden vom Publikum euphorisch gefeiert.