Essen. Drei Brüder, ein Cousin und jede Menge Gänsehaut-Rock: Mit ihrer neuen Live-DVD bringen Kings of Leon die Euphorie und den Schweiß ihres umjubelten London-Konzertes ungefiltert auf den Bildschirm. Da darf auch der Gruß an die Frau Mutter nicht fehlen.

Beim Intro zu „Knocked Up“ tropft es aus Calebs Poren. Behutsam streicht sich der vollbärtige Sänger die nassen Strähnen aus der Stirn. Mit geschlossenen Augen lauscht er seinem Cousin Matthew: Während der Gitarrist schrille Obertöne in den weiten Raum der O2-Arena entsendet, geraten die 20.000 Fans mehr und mehr in Verzückung. An dem Ort, wo eigentlich der verstorbene King of Pop sein fulminantes Comeback feiern wollte, gewähren nun vier andere Könige eine Audienz mit Schweiß-Faktor: Kings of Leon zelebrieren eine Rock-Show der Extraklasse. Ohne peinliche Posen, dafür mit feinfühligen Songs und ganz viel Herzblut bei der Performance. Wer am 30. Juni 2009 in London nicht dabei sein konnte, kann nun aufatmen: Die DVD „Only By The Night – Live At The O2 Arena“ hat die intensiven Momente des Konzerts visuell gekonnt eingefangen.

US group Kings of Leon performs on the Orange stage at the Roskilde festival on July 4, 2008 in Roskilde. AFP PHOTO Jens Norgaard Larsen /SCANPIX
US group Kings of Leon performs on the Orange stage at the Roskilde festival on July 4, 2008 in Roskilde. AFP PHOTO Jens Norgaard Larsen /SCANPIX © AFP

Ein fein austariertes Wechselspiel aus Nähe und Distanz macht den besonderen Charme der DVD aus. Meint man in der einen Sekunde Sänger Caleb förmlich riechen zu können, so bietet im nächsten Moment die Totale einen eindrucksvollen Panoramablick auf die opulente Lichtkomposition und das Meer aus Fans. Rasante Schnittfolgen, Überblendungen und spannende Perspektiven machen den Konzertfilm zu einem optischen Highlight. Komplettiert wird die besondere Atmosphäre durch einen beinahe glasklaren Sound.

Kurze Songs als Erfolgsfaktor

Die vier Herren Followill, drei Brüder und ein Cousin, meinen es an diesem Abend wirklich gut mit ihrer frenetischen Anhängerschaft. Satte 22 Songs, die einen bunten Querschnitt aus ihren vier Alben darstellen, lassen sie aus ihren Verstärkern dröhnen. Wer angesichts dieser beachtlichen Song-Fülle geneigt ist, mit den Augen zu rollen, dem sei Folgendes gesagt: Kings of Leon setzen bei ihren Liedern auf Kürze. Keine XXL-Intros, keine langatmigen Solo-Passagen. Jeder Ton ist wohl überlegt und wird punktgenau gesetzt. Der Schlüssel zum Erfolg liegt bei den Grammy-Gewinnern aus Tennessee sicherlich auch in ihren reduzierten Arrangements. So braucht die DVD nicht mehr als 100 Minuten Spielzeit, um diese inoffizielle Greatest-Hits-Sammlung über den Bildschirm flimmern zu lassen.

Gleich das dreckige Riff beim Opener „Notion“ zeigt zwar, dass die Kings live eine etwas härtere Gangart als auf ihren Tonträgern bevorzugen. Dennoch meiden sie brachiale Gitarrenbretter und wüste Schlagzeug-Attacken. Niemals brechen sie richtig aus dem bewährten Mainstream-Terrain aus. Das Quartett setzt vielmehr konsequent auf seine Stärken: In Caleb Followills beinahe „schwarzen“ Stimme schwingt eine tiefe Wärme mit, die bisweilen an Pearl Jams Eddie Vedder erinnert. Das markante Organ findet seine kongeniale Ergänzung im emotionalen Gitarrenspiel von Cousin Matthew. Wohldosiert streut er seine Melodien, verweigert sich strikt jedem selbstverliebten Gedudel. Dass er als Teenager ein Poster von The Edge (U2) über dem Bett hängen hatte, kann man da getrost als Fakt annehmen.

„Sex On Fire“ ist der Höhepunkt

Apropos Schwärmerei von Teenagern: Der eine oder andere weibliche Musikfan dürfte ebenso für das ansprechende Äußere der US-Amerikaner schwärmen. Gerade Matthew und Bassist Jared könnten mit ihren modischen Föhn-Frisuren direkt vom Foto-Shooting für ein Hochglanz-Magazin kommen. Irgendwie stimmig ist es da, dass der Superhit „Sex On Fire“ vom aktuellen Erfolgsalbum „Only By The Night“ den klaren Höhepunkt des Auftritts markiert. Provokante Gesten oder zweideutige Anspielungen sucht man jedoch vergebens bei der Darbietung. Tief ins Musizieren versunken, wollen die Vier einfach nur bestmöglich ihre Songs erklingen lassen. Auch Ansagen haben keinen großen Stellenwert. Lediglich ab und an lässt sich Sänger Caleb während des Konzertes zu einem kurzen Monolog hinreißen: Mal geht ein lieber Gruß an die anwesende Frau Mutter, mal bekommen die langjährigen Fans ein aufrichtiges Dankeschön zu hören. Bei so viel sympathischer Bodenständigkeit bleibt das Fehlen von jedwedem Bonus-Material das einzige Manko der DVD.