Essen. Das neue Live-Album des Liedermachers Reinhard Mey ist durchaus ungewöhnlich, aber schön. Eine Macke hat „In Wien – The Song Maker“ allerdings.

„Die schwarzen Haare sind ergraut“, heißt es zu Reinhard Meys Live-Album „In Wien – The Song Maker“ (Odeon), das am Freitag erscheint. Ob der Satz absichtlich dieselbe Melodie hat wie der erste Vers aus Meys Lied „Die Zeit des Gauklers ist vorbei“? Na, es würde gar nicht passen. Reinhard Mey ist noch nicht fertig mit seinem Werk, auch mit 80 nicht. Der Live-Mitschnitt aus Wien, den der Liedermacher selbst ausgesucht hat aus allen Mitschnitten der Tournee, bringt das zum Klingen.

Ja, „Über den Wolken“ und „Gute Nacht Freunde“ sind als Zugaben dabei, geschenkt. Aber der Liedermacher sinkt nicht so tief, nur seinen Erfolg vergangener Tage abzumelken. „In Wien“ singt er Lieder, die ein wenig im Kernschatten der großen Erfolge geflogen sind. „Gerhard und Frank“ ist so ein Lied. Eher neu, vom 2020er-Album „Das Haus an der Ampel“, wie viele Titel dieses Live-Abends. Es ist der emotionale Höhepunkt des Konzerts, ein Lied über die Liebe, echt und ungeschönt. Gerd und Frank sind kein Plastik-Paar aus dem Vorabendprogramm eines Privatsenders, der auch mal mit Diversity hausieren gehen möchte. Die beiden und ihre Liebe fühlen sich echt an, niedrigschwellig. Frank bucht nur ein Ticket nach Zürich anstatt zwei ins Burgund, damit sein Freund ihm nicht beim Sterben zusehen muss.

In Meys Stimme klingen die Erfahrungen aus 60 Jahren Bühne

Meys Lieder-Geschichten gewinnen, wenn er sie live erzählt. Ja, die Songs gibt es alle auf Platte, sauber produziert, ohne Kiekser und falsche Töne. Aber in Meys Stimme, die hörbar gealtert ist, klingen die Erfahrungen aus 60 Jahren Bühne und 80 Jahren Leben. Selbst er vergreift sich mal im Ton, in diesem Fall im übertragenen Sinne. „Ich liebe es, unter Menschen zu sein“ klingt vom Titel her wie ein klassisches Mey-Lied, nach pointierter Beobachtung des Alltags oder nach einer Hymne an die Zwischenmenschlichkeit. Ist es aber nicht. Sondern eine populistische Litanei, wie Dieter Nuhr sie leiert, seit er gemerkt hat, wie lukrativ das ist. Sie handelt von unverschämten Schülern, der Jugend von heute. Die passende Antwort wäre: „Okay, Boomer!“