Duisburg. „Die Befreiung der Form“: Das Duisburger Lehmbruck-Museum zeigt Barbara Hepworth, eingebettet in historische und aktuelle Bezüge.

Die „Two Large Forms“ vor dem ehemaligen Bundeskanzleramt in Bonn, die „Two Piece Recling Figure No. 5“ vor dem Ruhrfestspielhaus in Recklinghausen, die „Two Piece Recling Figure: Points“ im Düsseldorfer Hofgarten, die „Draped Seated Woman“ im Wuppertaler Skulpturenpark Waldfrieden, das „Three Way Piece No. 2“ vor dem Kunstmuseum und die „Large Vertebrae“ am Aasee in Münster, das „Large Oval with Points“ im Skulpturengarten der Kunsthalle Bielefeld sowie die „Two Pieces. Reclining Figure No. 1“ im Kantpark am Duisburger Lehmbruck-Museum: Vielleicht muss man sich die anhaltende Allgegenwart von Henry Moore allein in Nordrhein-Westfalen noch einmal ins Bewusstsein rufen, um zu ermessen, wie unterschätzt seine Zeitgenossin, Kollegin und Konkurrentin Barbara Hepworth (1903-1975) nach wie vor ist. Daran hat auch eine fulminante Retrospektive der Tate Britain kaum etwas geändert, die 2016 auch im Arp-Museum Rolandseck am Rhein gastierte.

Nun unternimmt das Duisburger Lehmbruck-Museum einen neuen Anlauf, in dem das Werk der Bildhauerin nicht als strahlender Solitär präsentiert wird, sondern eingebettet in historische und aktuelle Bezüge. Das mag strategisch von begrenzter Wirksamkeit sein, kunsthistorisch freilich ist es präzise – und Bezüge zur hauseigenen Sammlung lassen sich auf diese Weise ebenfalls mit einiger Plausibilität herstellen.

Die Ablösung der Formen von der Bedeutung

„Die Befreiung der Form“, so der Titel der neuen Lehmbruck-Ausstellung, hat Hepworth so gut wie ihr Studienkollege Henry Moore betrieben: die Ab-, ja die Erlösung der Bildhauerei von einer abbildenden Funktion, die Jahrzehnte früher auch schon Wilhelm Lehmbruck betrieben hatte, schlug um in eine allmähliche Ablösung der Formen von Bedeutung. Und das in einer Art Gemeinschaftsbewegung mit Künstlern wie Constantin Brâncuși, Hans Arp, Naum Gabo und Alberto Giacometti, die in der Duisburger Hepworth-Schau ein Netzwerk bilden.

Das Lehmbruck-Museum in Duisburg widmet der britischen Bildhauerin Barbara Hepworth eine Ausstellung.
Das Lehmbruck-Museum in Duisburg widmet der britischen Bildhauerin Barbara Hepworth eine Ausstellung. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Es fehlt vielleicht noch Picasso, der die Abstraktion allerdings auch weniger weit trieb, ähnlich wie Giacometti. Dass die Form nun für sich selbst stand, als ästhetische Erfahrung, machte sie auch unverbindlicher. Und brauchbar als Signet für eine ideologie- wie ideenbereinigte Form von Modernität – jenseits der Tatsache, dass die reine Abstraktion lange Zeit noch eine Provokation für das konventionelle Sehen blieb.

In Duisburg sind zwei Dutzend Skulpturen zu sehen

Schlüssig nachzuvollziehen ist in Duisburg Hepworths Weg an rund zwei Dutzend ihrer Skulpturen (von denen eine seit den 60er-Jahren zum Bestand des Lehmbruck-Museums zählt); nach dem Zweiten Weltkrieg wurden mit dem neuen Material Bronze für Skulpturen im öffentlichen Raum neue Bildfindungen möglich, die Hepworth auch schon in der Kombination von Stein und Fäden gesucht hatte.

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Die Schritte zur Abstraktion ging sie wie Moore mit dem „Direct carving“, also dem direkten Bearbeiten von Stein und Holz als Skulpturen-Material, ohne das traditionell übliche Modell aus Gips oder Ton; und auch das „Piercing“, das Durchlöchern von Formen, das sie transparenter und weniger massiv, ja eleganter wirken ließ, machte sie sich zu eigen.

Ökologisch bedenkliche Fakten an den Wänden

Aufgenommen wird Hepworths „Befreiung der Form“ in Duisburg von zeitgenössischen Künstlerinnen wie Tacita Dean, Nevin Aladağ oder Nezaket Ekeci, die nicht nur zur Eröffnung eine Performance beisteuerte, sondern auch per Video beim allmählichen Abschmelzen eines Eisblocks mit Händen und heißem Wasser zu sehen ist. Der offensivste Beitrag allerdings stammt von der Schweizerin Claudia Comte, die Riesen-Kakteen aus poliertem Mammutbaum-Holz auf Pinienrinden-Schnitzeln errichtete.

An den Wänden verkünden Riesen-Buchstaben ökologisch bedenkliche Fakten: Dass die Meere 2050 mehr Müll als Fisch enthalten werden und Europas Nutztiere schon jetzt mehr Emissionen produzieren als alle Autos und Lkw zusammen. Damit ist das Ende der Unverbindlichkeit schon erreicht.