Berlin. „Zickenkrieg? Kriegt Ihr nicht!“: Schauspielerin Cate Blanchett blickt der Oscar-Gala gelassen entgegen. Das verrät die Kandidatin im Interview.

Für ihre Titelrolle in dem Dirigentinnen-Drama „Tár“ ist Cate Blanchett bereits auf dem Filmfestival von Venedig im Spätsommer 2022 ausgezeichnet worden, sie war umjubelt auf der Berlinale. Nun ist die 53-Jährige auch die Favoritin auf den Oscar für die beste weibliche Hauptrolle. Peter Zander sprach mit ihr über den Film, Auszeichnungen und Nina Hoss.

Miss Blanchett, wie war es, „Tár“ in Berlin zu drehen?

Cate Blanchett: Ich liebe Berlin. Ich habe viele Freunde hier. Es gibt so viele Australier in dieser Stadt! Das ist für mich wie eine zweite künstlerische Heimat. Aber wir haben während der Pandemie gedreht. Berlin war da nicht ganz Berlin. Wir wurden sehr isoliert. Ich hatte nur mein Hotelzimmer, wo ich meine Texte lernte und am Klavier übte, wurde zum Set gefahren, um zu drehen, und dann wieder ins Hotel. Wenn du in einer Stadt drehst, beeinflusst das dein Zusammenspiel mit anderen. Hier ging das nur über Musik.

Sie spielen eine gefeierte Dirigentin, die Frau und Kind hat, aber ihre Position auch für Affären mit Musikerinnen missbraucht und tief fällt. Sowas kennt man sonst nur von Männern. Verstehen Sie diese Lydia Tár, funktioniert Schauspielerei so?

Nein, so denke ich nicht. Das wird ja oft bei weiblichen Figuren gefragt, ob man sie mag oder nicht, ob man sie attraktiv findet oder nicht. Als ich im Filmgeschäft anfing, ging es nur darum. Und heute reden wir immer noch darüber. Ich habe diese Frau nicht als Rolle gesehen, sondern als einen Satz aus einer Mahler-Sinfonie, als eine Krise, die Menschen durchmachen. Das ist ein bisschen wie ein Rorschach-Test. Es geht nicht darum, ob ich eine Figur mag oder nicht.

Würden Sie Lydia Tár als Ihre bislang forderndste Rolle bezeichnen?

Ja (überlegt lange), ja: Ich wurde davon völlig absorbiert. Ich hatte keinen Raum mehr für irgendwas anderes. Es hat mich aufgezehrt. Auch die Fragen, die der Film aufwirft. Auf die ich keine Antwort habe, aber mit denen ich mich auseinandergesetzt habe. Und über die ich immer noch nachdenke.

Wie war es, mit Nina Hoss verheiratet zu sein? Wie war Ihr Zusammenspiel?

Oh, ich möchte nie mit einer anderen Frau verheiratet sein! Ich habe Ninas Arbeit im Theater und im Film schon lange verfolgt. Aus purem Zufall verschlug es uns beide zur selben Zeit nach Budapest, wo wir unterschiedliche Filme drehten. Wir trafen uns beim Frühstück im Hotel. Das war während der Pandemie, so konnten wir Zeit miteinander verbringen. Das war ein Segen. Wir stellten fest, welch ähnliche Rollen wir gespielt haben. Und sie ist eine Meisterin ihrer Kräfte. Ihr Inneres kann Szenen für ganz neue Möglichkeiten öffnen. Nina ist ein Wunder.

Und wie ist das, ein Orchester zu dirigieren? Mögen Sie klassische Musik?

Oh ja. Ich habe einen sehr erlesenen Geschmack. Und für viele Schauspieler ist ein Musikstück ein Bezugspunkt zu einer Rolle, um sich einzustimmen. Das gilt erst recht für diese Figur. Klar, ich bin keine Dirigentin. Auch keine Musikerin. Aber ich habe viele Jahre ein Theater geleitet – ich weiß, wie man ein Ensemble zusammenhält und was man da zu verlieren hat. Beim Dreh vor all diesen Musikern zu stehen, war erst mal furchterregend. Ich hätte mir gewünscht, dass wir diese Szenen zuletzt drehen, es waren aber die ersten. Die Dresdner Philharmoniker sind aber großartige Musiker. Und ihnen ging’s ja ähnlich: Sie mussten schauspielen. Das war für sie genauso neu.

Hören Sie Klassik jetzt anders?

Mit 16 war ich öfter bei einer Freundin zu Besuch, deren Vater Opernfreund war. Beim Essen war aber absolute Stille, man hörte die Uhr ticken. Ich fragte naiv: Ihr hört doch Musik? Und sie sagten: Nein, wir hören keine Musik, wir nehmen an ihr teil! Musik ist nichts, was man im Hintergrund laufen lässt. Und nachdem ich für diesen Film wieder und wieder Mahler-Sinfonien studiert habe, höre ich jetzt einzelne Instrumente und andere Dinge, die ich früher nicht gehört habe.

Im Januar erhielten Sie den Critics Choice Award für „Tár“ und sagten bei der Siegerehrung, es sei vielleicht gut, mit diesen konkurrierenden Preisen aufzuhören. Jetzt geht es auf die Oscars zu. Haben Sie doch irgendwie Spaß daran?

Oh, verstehen Sie mich nicht falsch! In solchen Momenten, wo man überwältigt ist, findet man nicht immer die richtigen Worte. Gerade in diesen Tagen, wo nach dem Lockdown viele Kinos schließen mussten, ist es wunderbar, wenn man zusammenkommt, um das Kino zu feiern. Aber ich kenne mindestens zehn Filme, die ich genauso gut finde. Das ist wie die Frage, welches deiner Kinder dein liebstes ist. Ich möchte meine Kolleginnen nicht als Konkurrentinnen sehen. Und auch hier ist es wieder interessant, dass es diese Diskussion nie bei Männern gibt, nur bei Frauen. Sie warten – immer, immer, immer! – auf einen Zickenkrieg. Aber sorry, den werden sie nicht kriegen!